Andreas Rettig bringt es wieder mal auf den Punkt. „Um DFB-Präsident zu werden, muss man eine Ochsentour vom Kreis über den Bezirk zum Verband absolvieren, um irgendwann Regionalfürst zu sein“, sagt der ehemalige Geschäftsführer der DFL im aktuellen Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Dann hat man einen grauen Bart und weiße Haare – und landet schließlich im DFB-Präsidium, hat aber schon 25 Jahre lang Allianzen geschmiedet. Das System bedingt genau diese Abhängigkeiten, die dem deutschen Fußball mehr schaden als nutzen, daher bekommen wir auch kein frisches Blut in den DFB.”
Die Aussage des DFB-Kritikers macht uns Amateuren wieder klar: Mit dem herrschenden System wird es nichts mit Reformen im DFB. Ob Theo Zwanziger, Reinhard Grindel oder zuletzt Fritz Keller – sie alle stolperten am Ende über die Seilschaften, die aktiv werden, will jemand die Strukturen ändern. Auch die schweigenden und immer brav folgenden Landespräsidenten tragen nicht weniger Schuld am wohl katastrophalsten Image, das der DFB je hatte. Warum sie so folgsam sind, werden sie selbst am besten wissen. Sie haben scheinbar einiges zu verlieren.
Im März soll nun ein neuer DFB-Präsident (vielleicht auch eine Präsidentin) gewählt werden. Doch wie sollen neue Personen einen Neustart hinkriegen, wenn sie nur von Gnaden der Landesfürsten ins Amt kommen können? Er kann nicht gelingen. Es sei denn, wir ändern das System. Zum Beispiel, indem wir zulassen, dass sich Kandidatinnen von außen bewerben und sich einem neuen Wahlprozess stellen können. Denkbar wäre eine Urwahl, an der alle Fußballerinnen und Fußballer ab 16 oder 18 Jahren aus den rund 25.000 Vereinen teilnehmen. Eine andere Variante wäre ein Delegiertensystem.
Wichtig wäre eine Beteiligung aller Vereine vor allem für die Amateure. Ohne die sind die Profis eh nichts, was die klugen Menschen bei der DFL natürlich wissen und auch der neuen Chefin Donata Hopfen nicht entgangen sein dürfte. Es geht also nur in einer Solidargemeinschaft.
Die Lautsprecher in den Profivereinen, die das nicht realisieren wollen, werden weniger, der jetzige DFB-Chef Peter Peters (neben dem mächtigen Rainer Koch) wurde in seinem Heimatverein Schalke 04 nicht einmal mehr in den Aufsichtsrat gewählt. Wobei sein desaströses Treiben in Gelsenkirchen nicht Grund genug ist, ihn von der DFB-Spitze fernzuhalten, was über die Verfasstheit des Verbands einiges aussagt.
Im März geht es nicht nur um Posten, es geht auch um viel Geld. Fachleute wie der Rechtsanwalt Engelbert Kupka, einst Präsident der Spielvereinigung Unterhaching und im DFL-Beirat, sowie der Berliner Steuerberater Bernd Fiedler, Vorsitzender von Stern 1900, haben ausgerechnet, dass den Amateuren durch die unzulässige Zusatzvereinbarung im TV-Grundlagenvertrag über die Jahre bis zu einer Milliarde Euro entgangen sein könnten. Sie beziehen sich auf Hochrechnungen seit 2003. Doch selbst wenn die Summe „nur“ 500 Millionen betrüge, wäre der Schaden für den Breitensport riesengroß. Eine Auflistung, was man mit dem vielen Geld alles an Verbesserungen für die Amateure machen könnte (die überteuerte Akademie ist es nicht), folgt in einer späteren Kolumne.
Die Personen, die den aktuellen Grundlagenvertrag ausgehandelt haben, sind disqualifiziert. Zumal sie auch in anderen Feldern, wie einer modernen Personal- und Unternehmensführung permanent versagen und mit ihren Eskapaden großen Schaden für den Fußball anrichten. Es braucht also neue Gesichter und mutige Köpfe, die Aufbruch verkörpern. Das gilt nicht nur für das Präsidentenamt, sondern auch für die vielen Vizepräsidentenposten, die immer noch nach Proporz vergeben werden. Ob nun für Recht, Finanzen, gesellschaftliche Verantwortung, Amateur- oder Schiedsrichterwesen, es braucht Fachleute. Wenn diese auch noch wissen, was an der Basis passiert, umso besser.
Das Beste wäre, man würde den Zuschnitt des Präsidiums vorher festlegen und nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten suchen. Auch die Leitung der Ausschüsse sollte nach Qualifizierung erfolgen. Dann würde es nicht mehr passieren, dass ausgerechnet der Berliner Präsident Futsal-Beauftragter wird, obwohl er es in der Hauptstadt nicht hinbekommen hat, die Hallen für diese Sportart öffnen zu lassen. Die Reisen in ferne Länder würden ihm sicher fehlen, aber dem Futsal in Deutschland würde ein Fachmann guttun.
Eine Frischzellenkur beim DFB ist nur möglich, wenn die Bewerbungshürden fallen und Menschen nach Kompetenz und Leidenschaft, nicht nach Proporz und Dankbarkeit nominiert werden. Expertise und Vielfalt müssen im Vordergrund stehen, nicht Versorgungsmentalität und Kumpanei unter älteren Herren. Wenn das gelingt, können sich auch kluge Köpfe des öffentlichen Lebens, jüngere Menschen und nicht zuletzt Frauen vorstellen, sich in den Dienst des Fußballs zu stellen. Und zwar ohne die Inanspruchnahme von Detekteien und zwielichtigen Beratern, sondern im solidarischen Miteinander von Amateur- und Profifußball.
Gerd Thomas
Gerd Thomas ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.