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Meet the Ref!

Jeder fünfte deutsche Schiedsrichter wurde schon mal angegriffen. Kein Wunder, dass sich immer weniger für den Job an der Pfeife begeistern lassen. Eine Idee, wie man die Situation ein wenig verbessern kann von TIM FROHWEIN

Der Streikaufruf der „Interessengemeinschaft Schiedsrichter“ für den 15. Mai hat Diskussionen im deutschen Amateurfußball nach sich gezogen. Nach zuletzt mehreren Berichten über Übergriffe gegen Unparteiische sei es an der Zeit, „dass sich Schiedsrichter gegen Gewalt zur Wehr setzen und für einen Tag die Pfeife ruhen zu lassen“, schrieb die Schiedsrichter-Lobby in einer vielbeachteten Pressemitteilung.

Und selbst wenn am Ende – auch weil die Verbände sich unmittelbar gegen die Protestaktion positionierten und sie als „keine zielführende Maßnahme“ bezeichneten – kaum Unparteiische dem Aufruf gefolgt sein dürften: Dass die Schiedsrichterei auf Deutschlands Fußballplätzen oft ein undankbarer, mitunter gefährlicher Job ist, daran gibt es keinen Zweifel.

Nicht zuletzt deswegen wollen diesen Job immer weniger Menschen machen: Zur Saison 2016/17 gab es noch 59.022 aktive Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter in Deutschland, in der Spielzeit 2020/21 waren es nur noch 44.821. Das entspricht einem Rückgang von rund 24 Prozent. Der deutsche Fußball hat also in vier Jahren ein Viertel seiner Schiedsrichter verloren – eine traurige Zahl, wenn man bedenkt, dass das Spiel ohne jemanden, der sich um die Einhaltung der Regeln kümmert, nicht funktioniert (ähnlich dürfte wohl auch eine Gesellschaft ohne Polizeibeamte nicht funktionieren).

Der alarmierende Schiedsrichtermangel ist zum Teil sicherlich auf das von der IG Schiedsrichter angemahnte raue Klima auf den Fußballplätzen zurückzuführen, das zeigt auch die Forschung: Laut einer Umfrage der Tübinger Soziologin Thaya Vester sind rund 40 Prozent der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter schon mal Opfer von Bedrohungen geworden, knapp jede oder jeder fünfte wurde bereits tätlich angegriffen. In einer Ausgabe der von mir organisierten Diskussionsreihe „Mikrokosmos Amateurfußball“ im letzten Sommer (hier eine Aufzeichnung der Veranstaltung) sagte die Forscherin Thaya Vester mit Blick auf diese Befunde: „Gewalt im Fußball ist eigentlich fast gleichzusetzen mit Gewalt gegenüber Schiedsrichtern.“

Der fehlende Respekt gegenüber Unparteiischen, der oft Ursache für diese Gewalt ist, ist meiner Meinung nach verwurzelt in der Fußballkultur und wird von Generation zu Generation weitergegeben. Ich erinnere mich an einen Trainer, den ich fußballerisch wie fachlich durchaus geschätzt habe, der uns nahezu vor jedem Spiel in der Kabinenansprache mitgab, dass wir den Schiedsrichter doch bitte schön in Ruhe lassen sollten – aber eben nicht aus Respekt. Er sagte: „Die sind anders als wir. Die können kein Fußball spielen, die verstehen uns und diesen Sport gar nicht.“

Ich habe das damals durchaus verinnerlicht und bin mit dieser Einstellung viele Jahre auf dem Platz unterwegs gewesen, ähnlich wie vermutlich viele meiner Mitspieler. Heute weiß ich aus Gesprächen mit Unparteiischen: Selbst wenn ein Schiedsrichter deshalb Schiedsrichter geworden ist, weil ihm das Talent für das Fußballspielen gefehlt hat, macht er seinen Job auch deswegen, weil er diesen Sport genauso liebt wie ich. Deshalb möchte er Teil des Spiels sein.

Ich glaube, wenn Fußballspieler mehr mit Schiedsrichtern sprechen würden, wenn sie den „Menschen hinter der Pfeife“ besser kennenlernen würden, dann würden sie diese Motive bei den Unparteiischen erkennen. Doch wie kommt dieser Dialog zustande?

Ein Vorschlag: Vereine könnten einmal pro Saison anstelle der Mannschaftsbesprechung einen Austausch mit einem Schiedsrichter oder einer Schiedsrichterin organisieren. Ein Moderator, zum Beispiel gestellt vom Verband, sorgt für eine neutrale und konstruktive Gesprächsatmosphäre, in der sich beide Seiten besser kennenlernen und Verständnis füreinander entwickeln können.

Wäre das nicht eine „zielführende Maßnahme“? Könnten Verbände nicht eine entsprechende Kampagne aufsetzen und in die Fläche tragen? Ich hätte schon einen Titel für das Projekt: „Meet the Ref!“

Tim Frohwein

Tim Frohwein

Tim Frohwein ist Soziologe und setzt sich seit über einem Jahrzehnt wissenschaftlich und journalistisch mit dem Amateurfußball auseinander. Seit bald zwanzig Jahren kickt er in den Herrenmannschaften des FC Dreistern München.

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