Sie riefen „Deck den Weißen“ – das tat mir weh

YOUNIS KAMIL wuchs im Sudan auf. Weil seine Hautfarbe heller ist, war er für die anderen der Weiße. Sie meinten es zwar nicht böse, doch er fühlte sich durch ihre Worte ausgegrenzt.

Juni 2010, ein staubiger Sandplatz inmitten der Hauptstadt Sudans, 22 junge Männer, die einem Ball nachjagen und um den Sieg in einem Freundschaftsspiel zwischen zwei benachbarten Stadtvierteln spielen. Eine Szene, wie sie jeden Abend in Khartoum hunderte Male zu sehen ist. Nur eines ist auf diesem Platz anders. Einer der Spieler ist heller. Deutlich heller. In den Augen seiner Mitspieler ist er „weiß“. Dieser Spieler bin ich, denn ich bin im Sudan aufgewachsen und kehre immer mal wieder in meine Heimat zurück. Ich bin als Sohn eines Sudanesen und einer Deutschen im Sudan geboren und habe dort die ersten Lebensjahre verbracht.

Und so werde ich auch gerufen: „Khawaja“ eine im Sudan übliche Bezeichnung für Menschen helleren Hauttyps. Jedes Mal, wenn ich so gerufen werde oder den Kommentar der Gegner „Deck den Weißen!“ höre, tut es weh. Nicht viel, aber ein bisschen. Aus der Masse auf Grund eines äußerlichen Merkmals herausgehoben zu werden, fühlt sich nicht gut an.

„Khawaja“ wird im Sudan manchmal dafür verwendet, um „Weiße“ abfällig zu bezeichnen. Doch in diesem Fall, auf dem Fußballplatz, ist es nicht rassistisch gemeint. Das ist mir damals bewusst. Dennoch – es fühlt sich nicht gut an. Die Reduzierung auf die Hautfarbe, um identifiziert werden zu können, grenzt aus.

Ich muss umgehend an meine Erfahrung zurückdenken, als ich am 8. Dezember diesen Jahres das Champions-League-Spiel Paris St. Germain gegen Basaksehir Istanbul als mir langsam verfolge. Wie hat sich Pierre Webó, der Cotrainer Istanbuls, gefühlt, als er vom Vierten Offiziellen Sebastian Coltescu auf Grund seiner Hautfarbe identifiziert wurde? War das Rassismus oder einfach nur ein ungeschickter Ausdruck? Und kann etwas rassistisch sein, auch wenn es gar nicht so gemeint war?

Über die Vorfälle in Paris ist zur Genüge geschrieben worden, der rumänische Schiri musste viel Kritik einstecken, vielleicht ist seine Karriere zu Ende. Ich möchte versuchen, diese Vorfälle zu nutzen, um unseren Amateurfußball für das allgegenwärtige Thema Rassismus zu sensibilisieren. Auch Migranten sind übrigens nicht davor gefeit, sich rassistisch zu äußern.

Rassismus drückt sich nicht immer in Beleidigungen, Affengeräuschen oder Bananenwürfen aus. Es können bereits abwertende Blicke, unfreundliche Gesten oder bestimmte Begriffe sein, mit denen wir uns bezeichnen. Ausländer, Alman oder Schwarzer. Ich höre schon die Entgegnung: „Dann darf man ja gar nichts mehr sagen! Wenn er schwarz ist, wird man das wohl noch sagen dürfen! Ich habe ja auch kein Problem damit, wenn man sagt, „Deck den Rothaarigen da!“

Sollte man aber. Man sollte ein Problem damit haben, wenn einzelne Menschen auf Grund äußerer Merkmale aus einer Masse herausgehoben und damit bloßgestellt werden. Vor allem dann, wenn man nicht sicher ist, ob diese Person damit einverstanden ist. Vielleicht ist der Rothaarige sein Leben lang auf Grund seiner Haarfarbe gehänselt worden, wird nun erneut auf dem Platz damit konfrontiert und ist möglicherweise durch diese Wortwahl verletzt.

Und weil wir bei unserem rothaarigen Mitspieler es nur vermuten können, wir aber ganz sicher wissen, dass Schwarze und People of Colour kollektiv und systematisch diese Erfahrungen gemacht haben und heute immer noch machen, sollten wir besonders sensibel sein, wenn es um sie geht: Denn die Bezeichnung „schwarz“, selbst wenn sie nur zur Identifizierung genutzt wird, muss im historischen Kontext betrachtet werden. Dieses Wort hat durch Kolonialismus, Sklaverei und Apartheid deutlich mehr Bedeutung als eine Farbe. In diesem Wort schwingen systematische Benachteiligung und Reduzierung auf äußerliche Merkmale mit. Zwar ist die Bezeichnung als Alman oder Kartoffel häufig auch abschätzig gemeint. Aber der große Unterschied  besteht darin, dass sich Rassismus insbesondere dort bemerkbar macht, wo es um Privilegien geht, wo es um strukturelle Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen geht. Rassismus wirkt „von oben nach unten“.

Insbesondere Menschen, die schon häufig Rassismus erlebt haben, reagieren auf dieses Wort besonders verletzlich. In einem vertrauten oder respektvollen Umfeld, ist seine Nutzung unproblematisch, da sie von Schwarzen Menschen selbst gewählt wurde, wie wir beispielsweise an der Black Lives Matter Bewegung erkennen. In dem Moment, in dem aber nicht mehr klar ist, wie das Gesagte im Grunde gemeint ist, kann daraus schnell ein Missverständnis entstehen.

Um solchen Missverständnissen vorzubeugen, wäre mein Vorschlag, auf jegliche Bezeichnungen, die das Äußere in den Vordergrund stellen, zu verzichten. „Deck die Nummer 10!“ ist doch eine gute Alternative. Bestenfalls kenne ich sogar den Namen des Gegenspielers. Damit erkenne ich nämlich jeden auf dem Feld als ein Individuum an.

Im Grunde sollten wir uns darüber einig sein, dass wir uns auf dem Platz mit Respekt begegnen wollen und keinen Mitspieler, Gegenspielerin, Schiedsrichterin oder Zuschauer durch unsere Worte oder Taten verletzen wollen. Wenn wir das beherzigen, können wir uns sogar einen Ausrutscher erlauben, der dann nicht so stark ins Gewicht fällt. Weil wir bereits eine Vertrauensbasis haben.

Was hätte der rumänische Schiri Sebastian Coltescu tun können, um die Situation in Paris zu retten? Wäre er auf Pierre Webó zugegangen, hätte sich entschuldigt, ihn vielleicht sogar umarmt, hätte er zugegeben, dass er diesen Fehler nur aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit begangen hat, bin ich ziemlich sicher, dass das Spiel fortgesetzt statt abgebrochen worden wäre. Wir würden nicht über einen Rassismusskandal sprechen, sondern über Respekt und Größe.

Diese Chancen werden sich uns im Amateurfußball immer wieder bieten und wir sollten sie nutzen. Uns an der Fußballbasis geht es letzten Endes um die Atmosphäre, die wir auf unseren Plätzen schaffen möchten. Eine freundliche Begrüßung vor dem Spiel durch den Vorsitzenden, ein nettes Wort zwischendurch und öffentlichkeitswirksame Aktionen, die deutlich zeigen, dass Rassismus auf unseren Spielfeldern keinen Platz hat, wirken Wunder.

Aber auch den Verbänden kommt dabei eine nicht zu vernachlässigende Verantwortung zu. Wenn ich mir die Führungsetagen der Uefa oder des DFB anschaue, sehe ich nicht die große Vielfalt. Die Verbände können nur dann authentisch eine respektvolle und von Vielfalt geprägte Atmosphäre auf den Fußballfeldern Europas einfordern, wenn sie etwas vorleben. Solange dieses Ungleichgewicht herrscht, wird es immer wieder Momente geben, in denen sich Einzelne strukturell benachteiligt fühlen und sich Konflikte an einzelnen Worten entzünden.

Protokoll: Oliver Fritsch

Younis Kamil

Younis Kamil

Younis Kamil ist Erster Vorsitzender des ISC AlHilal Bonn, einem Stützpunktverein für Integration und Gewinner mehrerer Integrationspreise. Außerdem gründete er eine gemeinnützige Organisation, die jugendlichen Softskills vermittelt - klicke auf Younis Bild für weitere Infos.

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