Wird man zum besseren Menschen, wenn man Fußball spielt?

Fußball ist das ideale Medium, um Toleranz, Respekt und andere Werte zu vermitteln – heißt es immer. Doch stimmt das überhaupt? In meinem neuen Job will ich das nun in aller Gründlichkeit herausfinden. Von YOUNIS KAMIL

Der Ball ruht, wann wieder trainiert und gespielt werden darf, ist unklar. Also habe ich mir gedacht, ich berichte über das, was mich derzeit beruflich beschäftigt. Das hat nämlich auch mit Fußball zu tun.

Als Jugendtrainer ist es immer mein Ziel gewesen, auch die Persönlichkeit meiner Spieler und Spielerinnen zu entwickeln. Ich habe dies immer aus der Überzeugung getan, dass der Fußball das ideale Medium ist, um Respekt, Toleranz und Teamwork zu vermitteln. Ich glaube, dass ich das in den fünfzehn Jahren meiner Trainertätigkeit nicht immer, aber doch meist geschafft habe.

Wenn man mich fragen würde, wie, würde ich sagen, dass ich das nicht mehr genau weiß. Erst in den letzten Jahren habe ich mich, bedingt durch meine berufliche Tätigkeit in der Jugendhilfe, systematischer damit auseinandergesetzt, wie ich den Fußball pädagogisch nutze. Und dennoch könnte ich auch heute nicht erklären, ob und warum mein Ansatz funktioniert.

Mein nächster beruflicher Schritt wird mir dabei eventuell helfen. Für die nächsten drei bis vier Jahre bin ich als Doktorand an der Vrije Universiteit Brüssel und darf mich wissenschaftlich mit der Frage auseinander setzen, ob (und wenn ja wie) der Fußball dazu beiträgt, dass junge Menschen zu gesellschaftlicher Teilhabe befähigt und vor dem Abdriften in kriminelle oder radikale Milieus bewahrt werden. Hat das Fußballspiel das Potenzial, diese großen gesellschaftlichen Aufgaben zu bewältigen, oder sind es die Faktoren um das eigentliche Spiel herum, die einen positiven Beitrag zum Zusammenhalt leisten?

Fußballverbände und soziale Organisationen schreiben dem Fußball oft per se ein integratives Potenzial zu. Aber ist das haltbar? Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es über die gesellschaftliche Wirkung des Fußballspiels? Wird man automatisch zum besseren Menschen, wenn man regelmäßig kickt?

Der Belgische Fußballverband (RBFA) möchte dem auf den Grund gehen und hat mit der Vrije Universität Brussel und dem Hannah-Arendt-Institut aus Belgien zwei akademische Einrichtungen damit beauftragt, dies zu erforschen. Mit dem Projekt „Belgian Red Courts” möchte der RBFA bis zu vierzig Minispielfelder in ganz Belgien renovieren und an diesen Spielfeldern sein Fußballprogramm ausrollen. Diese Minispielfelder sind nicht an Vereine gebunden, sondern öffentlich zugängliche kommunale Sportstätten.Der Belgische Fußballverband knüpft an das Programm zwei konkrete Ziele:

1. Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts
2. Kriminalitäts- und Radikalisierungsprävention

Das Programm sieht vor, für jedes Minispielfeld zwei jugendliche Trainerinnen als Red Courts Coaches auszuwählen, und diese in der Umsetzung des Fußballprogramms zu schulen. Meine Aufgabe wird es sein, mit dem RBFA ein Programm zu entwickeln, das die Ziele des Verbandes anvisiert und Bedingungen schafft, damit sie erreicht werden können.

Wie muss das Programm aufgebaut sein? Reicht es nur, Fußball zu spielen, oder sollte nach einer Methode gespielt werden? Sollte es anschließend noch Gesprächsrunden geben, wie sollten diese gestaltet sein? Wie sollte die Beziehung zwischen Trainerinnen und Spielern gelebt werden? Worauf sollte man in der Kommunikation mit den Kindern und Jugendlichen achten? Welche sozialen und persönlichen Kompetenzen benötigen junge Menschen, um aktive Mitglieder der Gesellschaft zu werden?

All diese Fragen werden mich in den ersten Monaten beschäftigen, immer wieder muss ich an die vielen kleinen Vereine an der Basis denken. Wie wunderbar wäre es, wenn ihnen dieses Wissen komprimiert und in praktischer Form zur Verfügung gestellt würde und unsere Trainerinnen und Trainer dieses Wissen in ihre tägliche Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen integrieren könnten?! Vereine könnten ihre gesellschaftliche Relevanz auf ein neues Level heben und selbstbewusst sagen: „Wir tragen durch unsere Arbeit zu gesellschaftlichem Zusammenhalt bei.”

Voraussetzung ist natürlich, dass die Forschungsarbeit Ergebnisse liefert. Aber selbst wenn es nicht die gewünschten sind, werden wir viele Hinweise bekommen, wie wir den Fußball nutzen können, um bei unseren Schützlingen mehr als nur die fußballerischen Skills zu entwickeln.

Gerne werden ich von Zeit zu Zeit in meiner Kolumne über den aktuellen Forschungsstand berichten. Dabei versuche ich, die Ergebnisse in die Praxis auf dem Platz zu übersetzen.

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Wer mehr über das Projekt des Belgischen Fußballverbandes erfahren möchte, kann sich hier informieren.

 

Protokoll: Oliver Fritsch

Younis Kamil

Younis Kamil

Younis Kamil ist Erster Vorsitzender des ISC AlHilal Bonn, einem Stützpunktverein für Integration und Gewinner mehrerer Integrationspreise.

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