Hartplatzhelden-Kolumne #83: Die Klimakrise verlangt neue Antworten auch im Fußball, doch Politik und Verbände geben oft nur die alten. GERD THOMAS über das Politikum Kunstrasenbau und eine grundsätzliche Frage.

Die heiße Phase der Saison ist eingeleitet. Bei den Amateuren werden die nächsten Wochen über Auf- und Abstieg entscheiden. Eine besondere Rolle kommt den äußeren Bedingungen und dem körperlichen Zustand der Akteure zu. In diesem Jahr unterbrach der Schiedsrichter bereits am 7. April erstmals ein Spiel durch eine Trinkpause, das Thermometer zeigte zweieinhalb Wochen nach Winterende 24 Grad! Am Maifeiertag stiegen die Temperaturen auf mehr als 25 Grad. Für alle Spieler, die im Pokal in die Verlängerung mussten, eine Herausforderung.

Glücklicherweise ist nichts über das Kollabieren von Aktiven bekannt. Derlei Meldungen könnten uns aber bald regelmäßig ereilen. Nicht nur auf dem Platz, auch bei Zuschauern am Rand, in den Stadien während der EM und bei Olympia. Hitze ist eine der größten Gesundheitsbedrohungen der Zukunft, nicht zuletzt im Sport. Sven Plöger und Eckardt von Hirschhausen haben beim Dialogforum Nachhaltigkeit des DFB im vorigen Jahr darauf hingewiesen.

Breitensportanlagen sind nicht auf steigende Temperaturen vorbereitet. Selbst bei Neubauten und Sanierungen spielen klimatische und gesundheitliche Betrachtungen keine Rolle. Das kann man als Unwissen, Ignoranz oder Vorsatz werten. Ein Kinderturnier, bei dem es keine Unterstellmöglichkeiten mit Schatten gibt, ist gesundheitsgefährdend.

Diesen Anschlag auf unsere Jugend mit zu hohen Kosten abzutun, klingt wie Hohn. Denn gleichzeitig

  • werden in Berlin Museen für zig Milliarden saniert und klimatisiert gebaut,
  • wird über die Sanierung des Olympiageländes für mehr als 350 Millionen Euro nachgedacht,
  • werden die teuersten Autobahnkilometer der Republik quer durch Berlin gebaut. Im Jahr 2024!

Für die vielen Kinder und Jugendlichen in den Amateurvereinen stehen derlei Summen nicht zur Verfügung. Nicht für die Vereinsanlagen, nicht für den Schulsport. Das ist unverantwortlich. Warum ist das so?

Wir wissen, dass ein fitter Körper auch geistige Herausforderungen besser meistert. Wir wissen, dass die beim Sport gelernten Soft Skills das enthalten, wonach Unternehmen bei ihrem Personal suchen: Teamgeist, Durchhaltevermögen, Kreativität, Ehrgeiz und Entscheidungsstärke. Warum also handeln Politik, Verwaltung und Sportverbände nicht entsprechend!?

Die Fußball-Europameisterschaft wurde an Deutschland vergeben, weil man sich mit einem nachhaltigen Konzept beworben hatte. Nachhaltigkeit als Kriterium wirkt!

  • Doch wo sind die nachhaltigen Konzepte für den Breitensport?
  • Wo sind die beispielgebenden Kooperationen zwischen Profis und Amateuren?
  • Wo sind die Lobbyisten in den Landesverbänden, die von Kommunen endlich gesundheitsfördernde Bauweisen einklagen?

Ok, rhetorische Fragen. Aber wenn man sich in ein Amt für den Sport wählen lässt, muss man auch im Sinne der Sportlerinnen und Sportler handeln.

Es gibt Konzepte, die auf die Klimakrise eingehen. Es gibt energiesparende und langlebige Flutlichtlösungen, Schatten spendende Tribünen mit Solardächern, Kunstrasenplätze aus recycelten Materialien und mit nachwachsenden Rohstoffen wie Kork.

Die sind, anders als die in vielen Teilen des Landes bevorzugten Teppichdiscounter-Lösungen, auch bei Minustemperaturen bespielbar. Was zunehmend wichtig wird, denn Wetterextreme nehmen zu. Wir werden in nächster Zukunft erleben, dass zwischen Mai und September Spiele aufgrund extremer Hitze vom Mittag in die Abendstunden verlegt werden müssen. Was neue Lösungen für Spielbetrieb und Freizeit erfordern wird.

In der Hauptstadt hat man Sport noch nicht als wesentliche Chance für mehr soziale Nachhaltigkeit erkannt, bestätigen Fachleute aus der Wissenschaft. Nun ist in Berlin mit Kindern und Jugendlichen ja auch alles im Lot, die wenigen Verhaltensauffälligen und motorisch Eingeschränkten … Sarkasmus aus!

Zwei Dinge machen mir allerdings Mut, dass wir aus der in der „Sportmetropole“ verbreiteten Haltung „Können wir nicht! Wollen wir nicht! Machen wir nicht!“ rauskommen: In unserem neu besetzten Bezirkssportamt arbeiten Leute, die Lust auf Sportentwicklung haben. Und die Initiative für eine nachhaltige EXPO2035 hat erkannt, dass auch der Sport ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der nötigen Transformation sein kann.

Beim FC Internationale haben wir Pläne für integrierte Sportkonzepte in der Schublade. Wir denken zum Beispiel über eine sportbetonte Kita nach, über Räume für Nachhilfe oder Ernährungsworkshops, über leicht zu installierende Bewegungsmöglichkeiten für Senioren (Boule), wie für junge Menschen (Calysthenics). Leider haben wir nicht die finanziellen Möglichkeiten, dies umzusetzen.

Die Planungen und Umsetzungen laufen vielerorts immer noch wie in den 1990er-Jahren. Der rund acht Jahre alte Sportentwicklungsplan liegt seit seiner Entstehung in der Schublade einer Amtsstube. Böse Zungen behaupten zudem, es gäbe keinen fairen Wettbewerb unter den Anbietern. Sportstättenbauer gehören fast überall zu den wichtigsten Sponsoren von Sportverbänden. Zur Definition: „Sobald eine Gegenleistung für eine Zuwendung von Seiten einer gemeinnützigen Organisation erbracht wird, gilt dies als Sponsoring.“ Die Frage stellt sich, welche Gegenleistung ein Verband bieten kann.

Was Fachfremde wissen sollten: Sportstätten müssen von den lokalen oder regionalen Sportverbänden auf Tauglichkeit abgenommen werden. Es gibt sogar Regionalverbände, in denen führende Mitarbeiter von involvierten Unternehmen Arbeitsgruppen für Sportstättenbau leiten. Unter Betrachtung üblicher Compliance-Regeln ist das zumindest pikant.

Besser wäre, die Verbände würden im Zusammenspiel mit Aktiven in den Vereinen und fachkundigen Menschen in Behörden – denn die gibt es – ein Pflichtenheft für unabhängige Ausschreibungen erstellen? Darin sollten enthalten sein:

  • nicht gesundheitsgefährdende Beschaffung der Bodenbeläge und Untergründe
  • Möglichkeiten für soziale Kontakte (z. B. Jugendräume)
  • genügend Möglichkeiten von Schatten und Wasser für alle Anwesenden
  • regenerative Energiequellen
  • Flutlichtkonzepte, die Sportlern und Anwohnern entsprechen
  • angemessene Kabinen und Sanitäranlagen
  • Einbindung von Gesundheitsorganisationen
  • Installation von Trinkwasserbrunnen

Beim Gewinn des großen Sterns des Sports für den FC Internationale haben wir dem Bundespräsidenten ein Trikot mit der 1,5 übergeben. Diese Rückennummer gibt es nicht, aber sie weist symbolisch auf die absolute Grenze des für uns Erträglichen hin. Wir alle wissen, den Leugnern der Klimakatastrophe zum Trotz: Dieses Ziel werden wir reißen.

Frank-Walter Steinmeier zitierte mich in der Sportschau: „Wie einer der Ausgezeichneten heute gesagt hat: Wir wissen, dass wenn wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen, dann können wir bald keinen Fußball mehr auf grünem Rasen spielen. Insofern ist doch erkannt, wohin die Reise geht.“

Lieber Herr Bundespräsident, vielen Dank für das Zitieren. Doch wir haben nicht den Eindruck, dass sich die Erkenntnis durchgesetzt hat. Nicht in der Klimapolitik, nicht beim Bau zeitgemäßer Sportstätten. Wir würden uns freuen, wenn Sie sich an die Spitze der Bewegung setzen würden, gerade weil wir „die nachhaltigste EURO aller Zeiten“ ausrichten wollen. Fragen bleiben:

  • Wollen wir auch bei der Infrastruktur für den Breitensport danach handeln?
  • Oder wollen wir nur pflichtschuldig Beifall klatschen, wenn das nächste Mal jemand fordert, endlich Nachhaltigkeitskriterien in den Bau von Sportstätten einziehen zu lassen?
  • Danach sich beim Buffet Zustimmung zuraunen und nach der Veranstaltung wieder zur Tagesordnung übergehen, um „business as usual“ zu betreiben?
  • Und darauf warten, dass unsere Nachfolger das schon regeln werden?

Unsere Kinder dürfen klares Handeln von uns erwarten. Es könnte sein, dass sie demnächst fragen: „Wo warst du, als es darum ging, die Dinge im Sport zu ändern?“

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