Hartplatzhelden-Kolumne #93: Die Kultur protestiert, die Kita streikt, die Bauern laufen Sturm. Nur der Sport rührt sich nicht. Dabei hätte er genug zu meckern und zu fordern. Von GERD THOMAS

„Ist der Breitensport kampagnenfähig?“ Diese Frage warf ein hoher Funktionär auf einer Versammlung Berliner Fußballvereine auf. Hintergrund war die legendäre Sportstättenmisere in der Hauptstadt. In anderen Ballungsräumen ist die Situation ähnlich dramatisch. Städte und deren umliegenden Gemeinden wachsen weiter, während viele ländliche Gebiete Einwohner verlieren. In Deutschland leben 77,77 Prozent der Menschen in Städten, Tendenz steigend.

In vielen Dörfern stehen riesige, oft wunderschöne Sportanlagen. Gleichzeitig bekommen die Vereine größere Probleme, eine B- oder A-Jugend oder gar ein Mädchenteam auf die Beine zu kriegen. Viele behelfen sich mit meist ungeliebten Spielgemeinschaften. In Großstädten ist der Trend genau umgekehrt. Bei uns am Schöneberger Südkreuz entstanden und entstehen Büros für mehr als 10.000 Beschäftigte und Wohnungen für rund 5.000 Menschen. Gleichzeitig wurde kein einziger Millimeter Sportanlage neu gebaut!

Die Folge: Hunderte von Kindern und Jugendlichen warten jedes Jahr auf einen Platz im Verein. Dieser ist allein mit den Absagen an die Eltern schon überfordert, was zu Ärger und schlechtem Ruf führt. Aber wenn wir jetzt auch noch Ehrenamtliche für das Ablehnungsmanagement suchen müssen, wird es endgültig zu viel. Spaß macht das niemandem.

Sportlich gehen dem Fußball hoffnungsvolle Talente durch die Lappen, weil sie gar nicht erst in den Vereinen ankommen. Volkswirtschaftlich ist der Sportstättenmangel kompletter Irrsinn, denn es braucht nicht nur in der Jugend dringend mehr Bewegung und Abwechslung. Ganz zu schweigen von Pausen für die durch übermäßigen Handykonsum geschädigten Gehirne junger Menschen. Die Krankenkassenbeiträge werden aufgrund fehlender Hallen und Plätze steigen, aber das wird in der Politik nie diskutiert. Mal davon abgesehen, dass deutsche Stadtplanung eher krank macht, als gesundheitsfördernd zu sein. Sport ist kein Thema, mit dem man Wahlen gewinnen kann.

Wie ändern wir das? Womit wir bei der Einstiegsfrage wären. Bauern protestieren und werden sogar ohne Folgen straffällig. Kita-Personal streikt, und Eltern müssen spontan Urlaub nehmen. Die Berliner Kultur trifft sich zum Protest vor dem Brandenburger Tor. Warum eigentlich nicht vor dem Regierungssitz oder dem Parlament? Der Sport braucht sich keine Gedanken über Ort machen, denn er protestiert nicht.

Es wird gejammert und geklagt, aber nichts geändert. Vielmehr wird selbst bei Eis und Schnee (ok, das erledigt bald die Klimakrise) oder bei sengender Hitze (die erledigt uns) das Training durchgeführt, selbst wenn der Coach kurzfristig ausfällt. Während in der Schule dann eben kein Unterricht stattfindet, stellt der Sportverein zu 99 Prozent sicher, dass sich Ersatz findet.

Anders als Lokführer oder Angestellte im Gesundheitswesen hat der Amateurfußball keine Gewerkschaft. Er hat aber eigentlich Interessensgemeinschaften, nämlich die Landesverbände und den DOSB mit seinem Flaggschiff DFB. Der steht mit 7,7 Millionen Mitgliedern deutlich an der Spitze, gefolgt vom Turnerbund, wobei der keine 2 Millionen Fans von Profivereinen hat. Übrigens, der Deutsche Golfverband hat fast zweieinhalbmal so viele Mitglieder wie der Basketball-Bund, auch eine interessante Entwicklung.

Viele Funktionäre in den Sportverbänden sind Mitglied in den so genannten Volksparteien. Da diese in jedem Bundesland und natürlich im Bund regieren, ist wenig Distanz zur Politik vorhanden. Das muss nicht immer schlecht sein, nimmt aber von vornherein Elan aus der Debatte. Wer glaubt, das würde sich mit der Wahl einer der neueren vermeintlichen Protestparteien ändern, wird sich noch wundern. Sport wurde von real existierenden und nationalen Sozialisten schon immer aufs Schlimmste missbraucht. Der Sportverein gilt als Schule der Demokratie, was er auch bleiben sollte.

Es braucht eine Bewegung von unten. Ich habe bei unserer Berliner Abschlussveranstaltung zur Stärkung des Ehrenamts gesagt, der Amateursport verkaufe sich zu billig. Genau darum geht es. Wir stellen nicht einmal Forderungen nach einem Sportministerium. Während die Kultur bei der Bundesregierung eine Staatsministerin, in der Berliner Landesregierung einen Kultursenator hat, ist der Sport in der Regel beim Innenministerium unter „ferner liefen“ angesiedelt.

In wenigen Wochen sind Bundestagswahlen. Es ist keine gewagte Prognose, dass der Sport keine Rolle spielen wird. Stattdessen wird über Zuwanderung und Integration schwadroniert (die der Sport täglich umsetzt), werden mehr Straßen gefordert (aber nie mehr Sportanlagen) oder mehr Unterstützung für die Wirtschaft (aber nie für den Breitensport). Einige Blitzmerker fordern sogar eine stärkere Privatisierung des Gesundheitswesens. Wahrscheinlich halten sie das auch für den Sport für eine gute Idee.

Amateurfußball und anderer Breitensport sind Säulen der Gesellschaft. Sie schaffen Zusammenhalt, Begegnung und Bewegung, hier entstehen Freundschaften und Bünde fürs Leben. Sie tragen unmittelbar zur Stärkung der Volkswirtschaft bei, aber sie haben keine Lobby. Es ist an der Zeit, das zu ändern. Das Thema muss zur nächsten Wahl auf den Tisch! In der nächsten Bundesregierung sollte es zumindest ein Staatsministerium für Sport geben.
Und auch beim DFB muss das Thema ein größeres Gewicht bekommen. Dort wird ebenfalls gewählt. Warum entsenden wir nicht aus der Mitte der Vereine in einer Direktwahl zwei Vertreter der Amateurvereine, die im Range eines DFB-Vizepräsidenten für den Amateurfußball agieren? Ich wüsste schon geeignete Kandidaten.