Hartplatzhelden-Kolumne #85: Im Fußballverein wird Fußball gespielt. Aber er kann auch ein Ort der Bildung und Debatte sein. Mit der Idee, dort über Klima und Politik zu diskutieren, mache ich zunehmend gute Erfahrungen. Von TIM FROHWEIN
Julian Nagelsmann hat nach dem Viertelfinal-Aus seiner Mannschaft bei der EM 2024 ein neues Gemeinschaftsgefühl für Deutschland gefordert. Dem kann ich grundsätzlich nur zustimmen. In einem solch vielfältigen Land kann Gemeinschaft aber nur dann entstehen, wenn man sich austauscht, wenn man zusammenkommt – und zwar über gesellschaftliche Barrieren hinweg.
Der Fußball schafft es wie kein anderer Sport, die Menschen zusammenzubringen. Auf dem Golfplatz bewegen sich vornehmlich Wohlhabende, auf dem Handballfeld fehlen nach wie vor die Menschen mit Migrationsgeschichte. Im Fußballverein dagegen trifft sich die ganze Gesellschaft.
Er ist also – wie es in der sozialwissenschaftlichen Forschung heißt – ein idealer „Dritter Ort“, ein Ort der Begegnung jenseits des eigenen familiären Umfelds, des Arbeitsplatzes, des Klassenzimmers. Warum ihn also nicht nutzen, um über den Fußball hinaus gezielt Gemeinschaft zu fördern?
Wenn im Fußballverein, gelegentlich, über die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit – zum Beispiel Digitalisierung, demografische Entwicklung, Klimawandel – diskutiert wird, dann können dabei ganz unterschiedliche Menschen ihre Standpunkte und Perspektiven klar machen und teilen. Natürlich birgt das die Gefahr, dass dadurch Gräben aufgerissen werden und am Ende vielleicht sogar die Stimmung im Verein leidet. Doch die Chancen sind viel größer. In Diskussionen lernen wir uns besser kennen.
Warum eigentlich im Vereinsheim nicht mal einen fußballfremden Vortrag oder Workshop stattfinden lassen? Die Räume sind da, die Menschen auch. Im Rahmen von treffpunkt Fußball, der Initiative von Celia Šašić und Philipp Lahm, habe ich in letzter Zeit in Vereinsheimen mehrere Diskussionen in ganz Deutschland organisiert:
Beim SV Weinberg haben wir mit der 1. Frauenmannschaft einen Workshop über Mobilität durchgeführt – für den kleinen Verein aus Mittelfranken ein wichtiges Thema. Um zu den Auswärtsspielorten zu gelangen, müssen teilweise hunderte Kilometer zurückgelegt werden. Darüber hinaus wohnt keine der talentierten Fußballerinnen in Weinberg selbst, zu den vier Trainingseinheiten in der Woche müssen viele von ihnen weit mit dem Auto anreisen. In finanzieller, zeitlicher und ökologischer Hinsicht eine enorme Belastung. Im Workshop haben die Spielerinnen eigene Gewohnheiten hinterfragt und nach neuen Ansätzen zur Verbesserung der Situation gesucht – und so vielleicht eine neue Sichtweise auf die Mobilitätswende gewonnen.
Beim TuS Weene in Niedersachsen haben wir ein „Heimspiel Wissenschaft“ organisiert: Gerrit Philipps, Teilzeitspieler der Herrenmannschaft und Forscher an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, gab Einblicke in seine kommunikationswissenschaftliche Doktorarbeit. Im Anschluss an seinen Vortrag haben die rund dreißig Gäste über das Verhältnis von Politik und Medien diskutiert. Es ging kontrovers zu, aber fair. Wer hätte gedacht, dass so etwas in einem Vereinsheim funktioniert?
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Meet the Ref“ bringen wir in Vereinsheimen regelmäßig Spieler und Schiedsrichter zusammen. Bei den Treffen geht es nicht um Regelkunde. Im Dialog sollen vielmehr beide Seiten ein besseres Verständnis füreinander entwickeln. Schließlich haben Gewalt und Respektlosigkeiten auf Fußballplätzen in den vergangenen Jahren zugenommen. Dialog kann helfen, die angespannte Stimmung zu lösen und bei den Beteiligten Empathie auszuprägen – eine Kompetenz, die in einer vielfältigen Gesellschaft generell stärker gefragt ist.
Das positive Feedback, das ich nach diesen Veranstaltungen bekommen habe, bestärkt mich darin: Fußballvereine funktionieren als „Dritte Orte“ – als Orte der Begegnung, Bildung und Debatte! Sie sollten in dieser Hinsicht stärker genutzt werden.
Foto von Ivory Juracek auf Unsplash