Auf der Beerdigung eines Mitglieds, das 79 Jahre lang seinem Verein treu blieb, kommen unserem Kolumnist Gedanken über die Bedeutung von Sportvereinen und unser Zusammenleben.

Ich hatte vor zwei Wochen ein intensives Erlebnis. Ein langjähriges Mitglied ist kürzlich im 91. Lebensjahr verstorben. Nach über 79-jähriger Mitgliedschaft in unserem Verein. Bis zuletzt verfolgte der Verstorbene jedes Heimspiel und lebte eine wunderbare Verbundenheit mit dem Verein, den aktiven Personen und Funktionären.

Die bewegende Trauerfeier führte mir vor Augen, was es eigentlich bedeutet, Teil eines Vereins zu sein. Neben der Familie waren sehr viele Menschen aus dem Verein oder dessen Umfeld dabei, um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Es war traurig und gleichzeitig auch ergreifend, diese Verbundenheit bis zuletzt zu spüren.

Ein Leben – ein Verein. Vom Jugendspieler über den Herrenspieler hin zum Seniorenspieler und schließlich als treuer Zuschauer und Unterstützer. Fast schon kitschig. Und doch war das lange eher die Normalität als die Ausnahme. Noch gibt es sie, die treuen schlagenden Vereinsherzen, die als Kinder bereits die Entscheidung ihres Lebens getroffen haben.

Doch ein Blick auf die Realität in den Vereinen zeigt, dass es sich dabei um eine aussterbende Art handelt. Immer schneller wird der Verein gewechselt. Immer seltener entsteht eine Identität der Mitglieder mit dem Verein. Der Verein ist mittlerweile eine austauschbare Plattform geworden. Für Eltern, Trainerinnen, Kinder und Spieler. Oft organisiert und am Laufen gehalten von immer weniger Seelen, die Stabilität und
Zuverlässigkeit in politisch unruhigen Zeiten bieten.

Aber welche Wahl haben wir? Wird es wieder so werden wie es mal war? Werden wir auch in dreißig Jahren noch Mitglieder für 70 Jahre Mitgliedschaft ehren? Wird sie im Verein weiter oder eher wieder als Teil einer Solidargemeinschaft verstanden werden? Ich hege Zweifel.

Der aktuelle Spagat vieler Vereine, professionelle Strukturen auf dem Rücken des Ehrenamts zu simulieren, ist zum Scheitern verurteilt. So gesehen ist die Krise des Ehrenamts vermutlich nur der Vorbote für die Professionalisierung des organisierten Breitensports, deren Vorboten
in Form von Kapitalgesellschaften im steueroptimierten Mantel gemeinnütziger e.V.s längst Realität sind. Der damit einhergehende Verlust des Sozialsystems Sportverein ist die traurige Konsequenz. Vor allem in Ballungsräumen.

Noch könnten Vereine gerettet werden. Aber die Uhr tickt. Die Hoffnung liegt nun auf der neuen Sportministerin Christiane Schenderlein, die eine gewaltige Aufgabe hat. 86.000 Sportvereine mit fast 29 Millionen Mitgliedern sind eine Menge. Ich wünsche ihr eine glückliche Hand und viel Verständnis dafür, was ein Sportverein über den Sport hinaus leisten kann. Ein Leben lang.

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