Mit einem emotionalen Plädoyer verabschiedete sich Schmerzspieler und Sympathieträger Lars Bender vor einigen Wochen am Fernsehmikrofon vom Profifußball. „So eine Fußballmannschaft ist ein Sinnbild dafür, wie die Gesellschaft sein sollte. Einer ist für den anderen da, man steht füreinander ein. Völlig egal, wer da neben einem sitzt, wie er aussieht, was für eine Religion er hat, welche Ansichten oder was für einer Kultur er entspringt – zusammenstehen, nicht spalten lassen. Das ist die Botschaft, die ich senden möchte, und das ist das, was ich mitnehme aus meiner Karriere.“
Ein wichtiges Statement. Und ein schönes Ideal, das es aber unter den Bedingungen des Leistungssports leichter hat, Realität zu werden. Wenn der Sport fast alles ist im Leben und der Erfolg der eigenen Fußballmannschaft beinahe ausschließlich darüber entscheidet, ob dieses Leben glücklich macht oder nicht, ist es einfacher, Vorurteile gegenüber Mit- und Gegenspielern über Bord zu werfen. Ressentiments lassen sich dann abtrainieren wie die paar Kilo Übergewicht nach dem Sommerurlaub.
Wenn aber, wie bei hunderttausenden Amateurkickern und -kickerinnen in Deutschland, sich das Leben vor allem außerhalb des Sports abspielt, wenn in diesem Leben so manches schiefläuft und man den Frust auf den Platz mitnimmt, lassen sich Vorurteile manchmal weniger gut unterdrücken. Dann lässt man seiner Abneigung gegenüber bestimmten Gruppen eher freien Lauf.
Vielfalt ist Normalität auf Deutschlands Amateurfußballplätzen. Keine andere Sportart versammelt so viele unterschiedliche Menschen unter ihrem Dach wie Fußball. Und das ist gut, so kommen Personen miteinander in Kontakt und bauen Beziehungen auf, die sich außerhalb des Fußballplatzes kaum begegnen.
Doch mit der Normalität der Vielfalt ist auch eine Komplexität verbunden. Ein ehemaliger Trainer von mir, ein Bosnier, sagte einmal in seiner Kabinenansprache vor einem Spiel gegen ein Team mit Türkeibezug zu uns: „Ich hoffe, dass der Schiedsrichter heute ein Deutscher ist. Deutsche Schiedsrichter pfeifen immer gegen Türken.“ Neben mir saßen zwei meiner türkischstämmigen Mitspieler.
Es gibt im Amateurfußball, eher als im Profifußball, Schiedsrichter, die Spieler aufgrund ihrer Herkunft anders behandeln als andere. Es gibt im Amateurfußball, eher als im Profifußball, Spieler, die aufgrund ihres familiären Hintergrunds und ihrer persönlichen Lebenssituation, zu aggressiven Verhalten auf dem Platz neigen.
Weil das Leben außerhalb des Sports auf dem Amateurfußballplatz eine Rolle spielt, weil dort gesellschaftliche Ungleichheiten und Konflikte eine Bedeutung haben, ist und bleibt Vielfalt im Amateurfußball eine Herausforderung. Gut gemeinte Plädoyers reichen leider nicht aus, um sie zu meistern. Vielfalt im Amateurfußball muss gestaltet und gemanagt werden. Dafür braucht es praxistaugliche Ansätze und engagierte Menschen.
Protokoll: Oliver Fritsch
Über das Thema dieser Kolumne wird Tim Frohwein am 22. Juli bei der nächsten Ausgabe der Veranstaltungsreihe „Mikrokosmos Amateurfußball“ sprechen. Neben anderen Gästen wird auch der HARTPLATZHELDEN-Kolumnist Younis Kamil dabei sein. Hier kann man sich anmelden.
Tim Frohwein
Tim Frohwein ist Soziologe und setzt sich seit über einem Jahrzehnt wissenschaftlich und journalistisch mit dem Amateurfußball auseinander. Seit bald zwanzig Jahren kickt er in den Herrenmannschaften des FC Dreistern München.
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