Kann man einen Sportverband reformieren? Das Klischee besagt: Dort sitzen doch nur Betonköpfe, die ihr Geschäft wie vor vierzig Jahren betreiben und keine Lust auf Veränderung haben. Zudem geht es total intransparent und undemokratisch zu. Da hat niemand Lust, mitzuarbeiten.
Zumindest die beiden letzten Sätze lassen sich widerlegen. Ein Verband ist so demokratisch, wie ihn seine Mitglieder gestalten, zumindest theoretisch könnten alle mitwirken. Die These, niemand wolle sich an Ideen für die Zukunft beteiligen, wird in Berlin gerade widerlegt. In der Hauptstadt wurde auf Initiative von zwei Vereinen eine AG Zukunft ins Leben gerufen, neumodisch „Future BFV” betitelt.
„Da wird sich doch niemand beteiligen.” Solche Sätze hörte man zunächst aus Präsidiumskreisen. Tatsächlich werden nun mehr als 130 Personen an der Zukunft des Berliner Fußball-Verbands mitarbeiten, ein großartiges Ergebnis. Der letzte verbliebene gewählte Vizepräsident (es gab in den letzten fünf Monaten bereits vier Rücktritte) hat sichtlich Spaß an der Sache gefunden und bedeutende Mitstreiterinnen und Mitstreiter gewonnen. Darunter Menschen aus der Berliner Fußballlandschaft, aber auch aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Stiftungen sowie aus anderen Verbänden arbeiten Menschen mit, viele mit Begeisterung.
Der Fußball hat also eine Systemrelevanz über den Profibereich und die gern als antiquiert oder gar korrupt bezeichneten Verbände hinaus. Während beim DFB die Profis den Laden weitgehend übernommen haben und eine megateure Akademie von oben herab durchgedrückt wird, beschreiten die Berliner den Weg über die Amateurbasis. Dabei ist in den Arbeitsgruppen Sprengstoff zu vermuten. Gleich in der ersten geht es um Verbandsstrukturen – ein heißes Eisen, nicht nur wegen der Idee einer Frauen- und Jugendquote. Die Antragsteller haben es tatsächlich gewagt, eine Amtszeitbegrenzung für den Präsidenten auf zwölf Jahre zu fordern. Ob dieser Idee soll es bereits Unruhe in DFB und anderen Landesverbänden geben, einige fürchten einen Nachahmungseffekt. Nebenbei, der Berliner Präsident ist sechzehn Jahre im Amt.
Aber was wäre so negativ an einer Befristung? Ähnlich wie in der Politik haben sich bei den Sportverbänden und ihren Funktionären große Beharrungskräfte entwickelt, einige sprechen vom „System Pattex”. Als Vorteil für die lange Amtszeit wird gern die nötige Erfahrung angeführt. Aber nicht nur die letzten Verhandlungen um den TV-Vertrag der Bundesliga oder die aktuellen Debatten um die Lockerungen der Corona-Maßnahmen in Berlin zeigen, dass Routine nicht von Vorteil sein muss. Die Verhandlungspartner kennen sich lange, man tut einander nicht allzu weh, man schöpft das Potenzial nicht aus.
Die Alternative wären frische Kräfte, die vielleicht andere, zeitgemäßere Strategien verfolgen. Und die nicht ob ihrer eingeübten Erfahrung erstarren, sondern auch einmal mit unkonventionellen Vorgehensweisen kommen und so mehr erreichen. Man sieht im Fußball ja auch, dass Trainerwechsel einem Verein neues Leben einhauchen können.
Auch in gesellschaftspolitischen Fragen gilt das. Wer sich die Expertenkreise des DFB anschaut, kann dort wenig Innovatives erkennen. Es wird über Jahre mit denselben Fachleuten und Organisationen zusammengearbeitet, die kaum einmal auf den Prüfstand kommen. Die Förderrichtlinien ändern sich nur selten, es wird kaum nach neuen Wegen gesucht. Die Ethik-Kommission geht gern auf Tauchstation, rassistische Vorfälle im Umfeld von Länderspielen werden als Einzelfälle abgetan. Gleichwohl müssen neue Amtsträger nicht unbedingt frischen Schwung bringen. So wurde der DFB-Bundestag einst extra für den neuen Vizepräsidenten Günter Distelrath vorverlegt, damit dieser mit 69 Jahren und 11 Monaten noch nicht die Altersgrenze von 70 überschritten hatte. Gehört hat man von Distelrath seither wenig. Dabei wäre gerade der Bereich Gesellschaftliche Verantwortung einer, mit dem der DFB nun punkten könnte.
Zwar hat die Basis auf die Wahl des DFB-Präsidiums kaum Einfluss. Aber in den Landes- und Kreisverbänden sieht das anders aus. In Berlin aber auch in München zeigt sich, dass die Vernetzung von engagierten Vereinsvertreterinnen und -vertretern etwas bewegen kann. Das sollte anderen Delegierten in anderen Landesverbänden als hoffnungsvolles Vorbild dienen. Sportverbände sind oft unbewegliche Tanker, ihre Kapitäne gleichen häufig Dinosauriern. Es ist unausweichlich, evolutionäre Prozesse zu forcieren. Sollte das nicht reichen, kann auch einmal ein revolutionärer Akt helfen. Nirgendwo steht geschrieben, dass immer dieselben Leute gewählt werden müssen.
Gerd Thomas
Gerd Thomas ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.
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