Nachhaltigkeit ist in aller Munde – auch im Fußball. Die DFL hat ihre Vereine quasi verpflichtet, sich darum zu kümmern, sie wird sogar ein Lizenzkriterium. Mit dem 1. FC Köln ist unter der Regie von Alexander Wehrle ein Profiverein vorangegangen und hat sich vom TÜV Rheinland zertifizieren lassen. Wir sind beim FC Internationale Berlin den Kölnern gefolgt und sind seit April 2021 der erste Amateurverein mit einem Nachhaltigkeitszertifikat. Auch der DFB macht sich auf den Weg, nicht zuletzt liegt ein Schwerpunkt der EURO2024 in Deutschland auf der Nachhaltigkeit. Die Hauptprotagonisten der EM Celia Sasic und Philipp Lahm haben das Thema im Fokus.
Mit etwas Verzögerung haben auch große Agenturen und Beratungsunternehmen die Nachhaltigkeit für sich entdeckt. Waren sie bisher vor allem an Profitmaximierung für ihre Kunden aus der Bundesliga (und für sich selbst) interessiert, springen sie nun auf den Zug auf und gründen eigene Units oder Subunternehmen. Wir spüren das beim FC Internationale nicht zuletzt dadurch, dass plötzlich ganz viele Werber und Vermarkter mit uns reden möchten. Es ist erstaunlich, wie viele natürlich total erfahrene Nachhaltigkeitsexperten in kürzester Zeit die Sportbühne betreten haben. Dabei ist das Thema zu ernst, um es nur als Geschäft zu begreifen.
Wir haben beim FC Internationale das große Glück, Fachleute im Verein zu haben. Sie haben das Thema studiert, sie arbeiten seit Jahren in der Zertifizierung, sie leben das im Alltag. Eine Arbeitsgruppe von rund zwanzig Menschen hat sich über Monate mit der Nachhaltigkeit auseinandergesetzt. Viele glauben, es gehe vor allem um Ökologie, also um weniger Plastikgeschirr, vegane Bratwurst oder insektengerechte Blumenbeete.
Dass es mit der Ökonomie und dem Sozialen zwei weitere Säulen gibt, wissen viele nicht. Dabei sind gerade diese für Fußballvereine hochinteressant. Dass es viele Vereine mit nachhaltigem Wirtschaften nicht so haben, wissen wir nicht erst seit den jüngsten Pleiten von Türkgücü, Uerdingen oder Berlin United. Immer noch platzen Bundesligaträume, weit bevor die Liga erreicht wurde – in der Regel an offensiver Misswirtschaft.
Beim Sozialen fällt dem Fußball die Diskussion leichter. Gemeinschaft, örtliche Kooperationen, Nachhilfe, Teilhabe und Inklusion gibt es nicht nur beim FC Internationale Berlin. Nicht zuletzt spielt das Ehrenamt eine überragende Rolle für nahezu alle Vereine. Und einer der vielen gescheiterten DFB-Präsidenten bezeichnete den Fußball gar als „letztes Lagerfeuer der Gesellschaft“.
Auch wenn der Vergleich allseits belächelt wird, weiß ich schon, was er meint. Der Fußball hat unglaubliche Einflussmöglichkeiten, nicht zuletzt für das soziale Gefüge der Republik. Hier kommen die verschiedensten Milieus zusammen, spielen Arm und Reich in einem Team, wird Vielfalt häufig wirklich als Normalität gelebt, ohne ständige Fragen „Woher kommst du?“. Womit ich nicht leugnen will, dass Diskriminierungen nach wie vor das größte Übel unseres Sports sind. In der Aufzählung fehlt noch die vierte Säule, die der Kommunikation und Vermittlung.
Leider sind die Rahmenbedingungen im Amateurfußball inzwischen vielerorts so schlecht, dass ein nachhaltiges Wirken erschwert wird. Die neue DFB-Spitze wird sich auch daran messen lassen müssen, ob sie es schafft, die stetig wachsenden Aufgaben fürs Ehrenamt und die immer maroder werdende Infrastruktur zu verbessern. Die Amateure sind längst nicht mehr bereit, sich Legionellen unter kalten Duschen in schimmeligen Waschräumen auszusetzen, während DFB und DFL die Anforderungen für die Profistadien immer höher schrauben und Paläste bauen lassen.
Nachhaltigkeit im Fußball heißt auch, die Menschen zu VEREINen, wegzukommen vom „Wir da oben. Ihr da unten!“ Soziale Nachhaltigkeit heißt, dass Kinder aus Zehlendorf und Neukölln gemeinsam zum Bundesligaspiel gehen können, Spielerinnen aus Blankenese und Billstedt beide das sportliche Feriencamp besuchen können. Das Erreichen von mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit sind zentrale Felder für einen Fußballverein.
Ein weiterer Punkt sind die Sportstätten und die Beschaffung. Auch hier kommt Fußballverbänden eine zentrale Rolle zu. Wer sich damit beschäftigt, was die Kunstrasen-Lobby den Kommunen unterjubeln kann, hat eine Vorstellung, dass Plastikgeschirr vielleicht nicht das größte Problem ist. Wenn immer dieselben Hersteller zum Zug kommen und die dann noch Sponsor des regionalen Verbands sind, kommt man ins Grübeln.
In Berlin haben engagierte Vereinsvertreter gegen Stimmen des Präsidiums die AG Zukunft durchgesetzt. Ein Thema: die Sportstätte von morgen. Sie sollte ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien entsprechen, also Solarkollektoren, LED-Flutlicht wie Bildungsräume und einen recycelten Kunstrasen zu fairem Preis haben. Geht nicht? Doch! Wenn Verein, Verband, Politik und Verwaltung an einem Strang ziehen und sich gemeinsam als Fortschrittsmotor betrachten.
Bleibt das große Feld des fairen Handels. Inzwischen gibt es gute Bälle aus Fairtrade-Produktion. Auch bei der Sportkleidung macht man Fortschritte. Wenn aber Fairtrade- und Recycling-Produkte der großen Sportartikelanbieter doppelt so teuer wie herkömmliche sind, wird sich die Nachhaltigkeit nur schwer durchsetzen. Ich prognostiziere, dass die großen Firmen sich umstellen werden müssen, je früher, desto besser für sie. Heute geht es schnell, dass ein Newcomer mit den richtigen Botschaften Marktanteile kapert, wie die Automobilindustrie beweist.
Auch hier kommt den Fußballverbänden eine tragende Rolle für den Wandel zu. So möchte ich dem DFB unbedingt raten, glaubhaft auf seine Sponsoren einzuwirken, kein Greenwashing zu betreiben, sondern sich wirklich nachhaltig für Umwelt, Menschenrechte und faire Löhne einzusetzen. So könnte eine echte Win-Win-Situation entstehen.
Es gäbe noch so vieles zum Thema zu sagen, nur noch so viel: Vereine, die sich für mehr Nachhaltigkeit interessieren, können uns gern kontaktieren. Wir geben gern kostenlose Hinweise. Wer viel Geld zahlen möchte, wendet sich an eine der Agenturen mit den vielen neuen Nachhaltigkeitsexperten. Ihr habt die Wahl, es ist ein freies Land. Compliance und Demokratieförderung gehören übrigens auch zu den Nachhaltigkeitszielen.
Gerd Thomas
Gerd Thomas ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.