Hartplatzhelden-Kolumne #99: Nie zuvor waren so viele Menschen Mitglieder in einem Fußballverein wie jetzt. Das macht mir Hoffnung – für den Fußball, für unsere Demokratie, für unser Land. Von TIM FROHWEIN
Menschen misstrauen einander, die Fronten sind verhärtet, vermutlich bin ich nicht der Einzige, der in diesen Tagen zu einem solchen Urteil kommt, wenn er an Deutschland denkt. Nie zuvor in meinem Leben habe ich die gesellschaftliche Polarisierung als so stark empfunden wie jetzt. Da gerät sogar eine Fußball-Nachwuchsreform zum Politikum und wird zum Anlass genommen, um ideologische Kämpfe auszutragen.
Gleichzeitig hat der DFB inzwischen mehr als 7,7 Millionen Mitglieder – seit seiner Gründung vor 125 Jahren waren nie so viele Menschen in Deutschland Mitglied in einem Fußballverein. Mir macht das Hoffnung. Es gibt sie noch, die guten Nachrichten.
Schließlich werden in Fußballvereinen Begegnung und Austausch zwischen Menschen ermöglicht, die ganz unterschiedlichen politischen Positionen anhängen, die voneinander abweichende Lebensentwürfe haben oder unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen angehören.
Diese Durchmischung gibt es in diesem Ausmaß nicht im Handball, nicht im Kaninchenzüchterverein und auch nicht bei der Freiwilligen Feuerwehr. Der Fußballverein ist vielleicht das letzte Lagerfeuer unserer Gesellschaft – ein Ort, an dem wir einander zuhören, uns besser kennenlernen und gegenseitig unterstützen.
Klar, im Fußball ist auch ein spaltendes Potenzial angelegt. Man möchte mit seinem Team den Gegner besiegen. Aber in den allermeisten der mehr als 1,4 Millionen Fußballspiele, die in diesem Land pro Saison ausgetragen werden, läuft dieses „Wir gegen die Anderen“ fair ab.
Dass das so ist und dass sich Fußballvereine einer so großen Beliebtheit erfreuen, interpretiere ich so: Viele Millionen Menschen in Deutschland haben das Bedürfnis, mit anderen, bisweilen gegensätzlichen Menschen im Team zusammenzuarbeiten, um gemeinsam etwas zu erreichen – unter Achtung von Regeln und demokratischer Werte wie Respekt und Fairness.
Es gibt viele Studien, die den positiven Effekt eines lebendigen Vereinswesens auf Länder und Regionen belegen: Da, wo relativ viele Menschen in Vereinen organisiert sind, ist das politische Engagement vergleichsweise höher, gibt es weniger Kriminalität und die Wirtschaft brummt. Erstaunlich oder?
Dass Fußballvereine boomen, bestimmt auch nach der Bundestagswahl am 23. Februar, ist also ein gutes Zeichen. Daher mache ich mich gerne für sie stark.
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