Lasst den Kindern das Kommando!
Straßenfußball heißt das neue Zauberwort beim DFB. Richtig so, denn auf kleinen Spielfeldern lernt man Kicken. Doch die Reform ginge noch radikaler. Von MICHAEL FRANKE
Fußball ist ein Teamsport, der mit einfachsten Mitteln betrieben werden kann. In meiner Kindheit reichte eine zusammengetretene Getränkedose in Kombination mit zwei Abfalleimern, um zu kicken. Schon in diesem Setting hatte das Spiel die grundlegenden Funktionen, also Spaß an Bewegung und sozialer Interaktion. Zugegeben, das ist lange her.
Seitdem hat sich um das Spiel eine komplexe kommerzielle Welt gebildet, die dazu führt, dass die Ansprüche an das Spiel und den organisatorischen Rahmen dafür stetig steigen. Im Jugendfußball bedeutet das, dass die Infrastruktur top sein soll. TrainerInnen müssen sportlich überzeugen, aber auch organisatorisch, menschlich und pädagogisch stark sein. Eine engagierte Betreuung der oft anspruchsvollen Elternschaft ist ohnehin obligatorisch.
Sportlicher Erfolg und sportliche Entwicklung der Kinder sollten natürlich auch gegeben sein. Um dies zu gewährleisten, zerbrechen sich zahllose Verantwortliche in Verbänden und Vereinen ihre Köpfe. Inzwischen sind sie zu der Auffassung gekommen, dass sie in der Vergangenheit in der Ausbildung zu sehr auf Taktik gesetzt haben könnten. Nun sollen wieder Individualisten statt Systemfußballer den deutschen Fußball in die Weltspitze katapultieren.
Das Zauberwort lautet Straßenfußball. Er wird wieder zum Vorbild für immer mehr unterschiedliche Spielformen. Unter dem Begriff Funino reformiert der DFB den Kinderfußball, er enthält sehr viele Minispielformen.
Doch ist es tatsächlich möglich, den ausgestorbenen Straßenfußball zu simulieren?
Einerseits ja. Messbare Größen, wie die Zahl der Ballkontakte, die Intensität des Spiels oder auch die Zahl der gespielten Minuten lassen sich mit den Reformen definitiv signifikant positiv beeinflussen. Dieser Haken darf gesetzt werden.
Straßenfußball ist aber so viel mehr. Wer kannte sie nicht, die Diskussionen um die Art der Tore, die permanente Anpassung von Regeln an die Gegebenheiten, die Diskussionen, ob der Ball im Tor war, oder am imaginären Pfosten des Tors aus zwei Kleidungsstücken?
Auslinien gab es ohnehin keine, dafür aber Luftaus, wenn der Ball die gedachte Linie in der Luft überschritten hatte. Der Straßenfußball war immer auch eine Schule der Kommunikation, des permanenten Diskurses um immer wieder neue Regeln und des Ausgleichs zwischen verschiedenen Meinungen.
Und hier stoßen, andererseits, alle Versuche, den Bolzplatzfußball zu imitieren, an ihre Grenze. Denn die neuen Spielformen haben feste Regeln. Regeln, die von Erwachsenen vorgegeben sind. Der Aufbau ist detailliert festgelegt, auch die Spielregeln selbst. Ballgewicht, Spielfeldgröße, Torgröße, Zahl der Spieler. Das muss bei Turnieren der Gerechtigkeit halber wohl so sein.
Wirklich? Sind hier alle Optionen ausgereizt? Warum lassen wir den Kindern nicht viel mehr Freiräume? Etwa in der Organisation des Trainingsspiels. Von der Form des Balles, der Zahl der Spieler, der Spielfeldgröße bis hin zur klassischen Mannschaftswahl. Sie können das. Wir konnten es ja früher auch.
Ich denke, es wäre den Versuch wert. Denn gerade die Kommunikation bleibt im normalen Standardtraining häufig auf der Strecke. Dabei ist sie ein wichtiges pädagogisches Ziel im Sport. Lasst den Kindern das Kommando!
Michael Franke
Michael Franke ist Erster Vorsitzender der FT München-Gern. 2018 hat er die Interessengemeinschaft Sport in München mitgegründet.