Hartplatzhelden-Kolumne #47: Die Nachwuchsleistungszentren bilden, pädagogisch wertvoll, die Fußballstars von morgen aus, heißt es beim DFB. Eine neue Studie zeigt: Die Realität ist erschreckend anders. Von MICHAEL FRANKE

Nachwuchsleistungszentren (NLZ) sind eine Säule der Jugendausbildung im DFB. Derzeit gibt es in Deutschland mehr als 50, in denen die regionalen Spitzentalente aller Jahrgänge weiterentwickelt werden sollen, mancherorts schon ab der U8. Vereine der 1. und 2. Bundesliga sind verpflichtet, ein NLZ zu betreiben. Einige Dritt- und Oberligisten betreiben aber auch solche Einrichtungen, um Talente bestmöglich zu entwickeln.

Die NLZ betonen vor allem immer folgendes:

  • die frühe Entdeckung von Spitzentalenten
  • die langfristige Entwicklung der Spieler im NLZ
  • den Vorrang der schulischen vor der sportlichen Ausbildung
  • das Ziel, Eigengewächse für die eigenen Herrenteams auszubilden.

Die Nachwuchsleistungszentren, heißt es, bilden mit Fachkenntnis und pädagogisch wertvoll die Fußballstars von morgen aus. Das klingt super. Eine Metastudie von Professor Arne Güllich (TU Kaiserslautern), die dem Verfasser vorab vorliegt, kommt aber zu einem ganz anderen Ergebnis. Darin wertet Güllich Daten aus den deutschen NLZ sowie über 30 internationalen „Youth Soccer Academies“ aus.

Die Ergebnisse zeigen im Gegensatz zur Theorie folgende NLZ-Realität: Es gibt eine hohe Frequenz des Spieleraustauschs in allen Altersklassen, durchschnittlich 29 Prozent der Spieler eines Jahrgangs). Und Profis, die erfolgreich wurde, waren erst in späterem Alter in die Leistungszentren gekommen als weniger erfolgreiche. Eine frühere Förderung hängt also mit geringerem Erfolg im Erwachsenenalter zusammen. Anstatt Kinder langfristig zu entwickeln, werden diese bei Nichtgenügen ausgetauscht.

Güllich kommt noch zu anderen bedenklichen Ergebnisse: Der kurzfristige Teamerfolg steht über der langfristigen Entwicklung einzelner Spieler. Der Anteil neu verpflichteter auswärtiger Spieler steigt stetig. Und Fußball hat Vorrang vor schulischer Bildung.

Diese Erkenntnisse sind an sich nicht neu und waren regelmäßig Teil der Kritik an der Arbeit der NLZ. Nun sind diese bisherigen Vermutungen aber erstmals wissenschaftlich nachgewiesen, und zwar in erstaunlichem hohen Ausmaß. Daraus resultieren große Zweifel an der Arbeit in den NLZ.

Die hohe Frequenz des Spieleraustauschs etwa stellt das System des Scoutings von Kindern in Frage. Die Daten zeigen deutlich, dass die Talentsichtung in den Altersstufen U8 bis U14 nicht sinnvoll ist. Eine zuverlässige Entwicklungsprognose ist bei Kindern unter 14 Jahren nicht möglich.

So finden sich beispielsweise nach acht Jahren nur mehr 9 Prozent der ursprünglichen U11-Spieler im NLZ in der U19. Der Rest wird zwischen der U11 und der U19 aussortiert. Am Ende verbleibt weniger als 1 Prozent der U11-Spieler, das den Übergang in ein Herrenteam schafft. Ein U15-Spieler, der in ein NLZ wechselt, hat immerhin eine Chance von etwa 10 Prozent, im NLZ den Übergang ins Erwachsenenalter zu schaffen.

Im Wissen, dass darüber hinaus rund 50 Prozent der aus dem NLZ entlassenen Spieler medizinisch belegbare psychische Folgeschäden erleiden, erscheint die Vorgehensweise der regelmäßigen Selektion der NLZ kaum noch zu verantworten.

Auch spannend: Ein Großteil der Herrenspieler internationaler Klasse hat als Jugendlicher weniger Zeit für die Hauptsportart Fußball aufgewandt und sich einer Zweitsportart zugewandt. Das bedeutet, die sportliche Entwicklung setzte bei diesen Spielern später, dafür aber nachhaltiger ein. Die hohe Intensität der Hauptsportart im Kindesalter führt also zu einer beschleunigten sportlichen Entwicklung der Kinder, ist aber für die spätere Leistungsentwicklung im Erwachsenenalter eher schädlich.

Die leistungsstärksten erwachsenen Spieler hatten als Kinder eine moderate Trainingsintensität, praktizierten verschiedene Sportarten, spielten länger in ihrem Heimatverein und blieben von den negativen Einflüssen einer frühen Intensivförderung im NLZ verschont. Sie minimierten ihre persönlichen Einschränkungen als Kinder und Jugendliche, während sie ihr langfristiges Entwicklungspotential steigerten.