Ich hatte mich in meinen Befürchtungen während der Corona-Pause leider nicht getäuscht. Ich bin seit drei Jahren E-Jugend-Trainer in unserem Verein und am ersten Trainingstag nach dem Stillstand blickte ich in blasse, von dicken Augenrändern gezeichnete Gesichter von 10- und 11-Jährigen. Die hatten wohl zwei Monate keine Sonne gesehen, dachte ich mir. Und diejenigen, von denen wir wissen, dass sie die schwierigsten Lebensbedingungen haben, waren erst gar nicht auf dem Fußballplatz erschienen.
„Der schläft noch, weil er bis 10 morgens Fortnite gezockt hat.” Das erhielt ich als Antwort, als ich nach einem unserer Spieler fragte. Unausgeglichen, müde, unkonzentriert – zudem haben einige Kinder Übergewicht mitgebracht. Der Spaß, dass es endlich wieder losgeht, war manchen hier und da anzumerken, doch auch ihr Verhalten hat sich deutlich verändert.
Vor Corona waren wir eine unzertrennliche Einheit. Nun jedoch gab es bereits im ersten Training kleinere Konflikte und viele emotionale Ausbrüche, wenn etwas nicht klappte. Offensichtlich hat sich während dieser zwei Monate bei meiner E-Jugend etwas verändert, ich bin fast geneigt zu sagen, etwas ist kaputt gegangen. In den folgenden Einheiten dasselbe Bild. Das Schlimmste jedoch, und damit bestätigte ich Michael Franke: Normalerweise kam immer die volle Mannschaft, es war eine Ausnahme, wenn mal ein Kind fehlte. Aber post-corona trainieren wir gerade mit etwa acht Kindern im Schnitt.
Wir sind ein Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, insbesondere Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Strukturen zu fördern. Wir wissen, dass das Training für einige die unbeschwerteste Zeit des Tages ist. Oft sind Elternhaus, Schule und der Sozialraum so negativ belastet, dass der Fußballplatz der letzte Ort des Kindseins ist, frei von Sorgen. Doch nun kommen viele erst gar nicht.
Dabei hatten wir während des Stillstands versucht, zu unseren Spielerinnen und Spielern über WhatsApp und Instagram Kontakt zu halten. Am Anfang gelang uns das, aber je länger es dauerte desto geringer wurden die Likes und Views. Das Smartphone nutzen sie eben vor allem zu anderen Zwecken, für Online Games zum Beispiel. Dass die negative Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben, ist Konsens. Professor Spitzer von der Universität Ulm ist der prominenteste und eindringlichste Warner vor dieser Entwicklung. Wir wissen aber nicht, was zwei Monate Lockdown und Smartphone Nutzung von acht bis zwölf Stunden pro Tag mit jungen Menschen machen.
Speziell der Volkssport Fußball erreicht Zielgruppen, die für andere schwer zugänglich sind. Wir von der Basis übernehmen diese Aufgaben mit Hingabe, aber wir müssen uns auch gestehen, dass wir mit manchen Dingen überfordert sind. Wir brauchen Hilfe von Pädagogen, Psychologen und Soziologen, die Leitlinien entwickeln, wie mit den Folgen des Lockdowns alters- und entwicklungsgerecht umzugehen ist. Mein erster Eindruck nach der Pause ist jedenfalls: Es geht leider nicht einfach so weiter.
Younis Kamil
Younis Kamil ist Erster Vorsitzender des ISC AlHilal Bonn, einem Stützpunktverein für Integration und Gewinner mehrerer Integrationspreise.
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