Weil ich selbst zum Amateurfußball forsche und mich für wissenschaftliche Ergebnisse zum Thema begeistere, bin ich bin gespannt, was der DFB mit seiner Akademie auf die Beine stellen wird. Auf ihrer Website stellt er Studien vor und macht sie in leicht verdaulicher Form einem breiten Publikum verständlich. Zum Beispiel die Studie „Keep Your Head Up – Correlation between Visual Exploration Frequency, Passing Percentage and Turnover Rate in Elite Football Midfielders“ aus dem Jahr 2019, die sich mit der Verbesserung der Orientierungsfähigkeit auf dem Fußballplatz auseinandersetzt.
Großer Aufwand für ein nützliches Angebot – wenn man Trainer einer Regionalliga-Mannschaft oder in einem Nachwuchsleistungszentrum ist. Der durchschnittliche Jugendtrainer dagegen würde sich zwar wünschen, seinen Jungs ein solches Wissen zu vermitteln, hat aber in der Realität des Amateurfußballs mit anderen Dingen zu tun: Nur selten kann er in voller Kaderstärke trainieren, oft muss er Unpünktlichkeit monieren, manchmal Dispute zwischen Spielern moderieren. Eine nicht optimal ausgeprägte Orientierungsfähigkeit ist eher ein geringes Problem.
Wie man richtig mit Jugendlichen kommuniziert, sie zu Verantwortungsgefühl erzieht, wie man ihnen Werte auf einen Weg mitgibt, der sie vermutlich nicht auf das Hochplateau des Profifußballs führen wird: das wäre praxisrelevantes Wissen für einen durchschnittlichen Fußballtrainer in Deutschland. Auch dazu gibt es Studien, wie zu anderen Themen des Amateurfußballs. Die aktuelle Ausgabe der Fachzeitschrift Fußball und Gesellschaft hält einige dieser Studien bereit:
– Die Kriminologin Thaya Vester beschäftigt sich mit der Diskriminierung von Schiedsrichterinnen im Amateurfußball. Mehr als 2000 Unparteiische in Württemberg haben an ihrer Umfrage teilgenommen. Ein interessantes Ergebnis: Von den männlichen Schiedsrichtern gaben knapp zwei Drittel an, in ihrer Tätigkeit als Unparteiischer noch nie diskriminiert worden zu sein – von den weiblichen dagegen nur knapp die Hälfte. Nach wie vor pfeifen – auch das ist ein Ergebnis – nur sehr wenige Frauen Amateurfußballspiele, was an Diskriminierungserfahrungen liegen könnte.
– Zwei Soziologen setzen sich mit zwei Amateurfußballvereinen in Krisensituationen auseinander, einem deutschen und einem englischen. Bei ihrer Analyse kommen sie zu dem Schluss, dass beide Vereine ihre Krisen bewältigt haben, indem sie die „Metamorphose hin zu einer unternehmerischen Ausrichtung“ durchlaufen haben.
– Die Sportwissenschaftlerin Cindy Adolph-Börs untersucht in ihrer Studie Vereinsfusionen im Amateurfußball und gibt am Ende Handlungsempfehlungen, wie diese am besten gelingen können. So empfiehlt sie zum Beispiel, dass die Vereine vorab eine Absichtserklärung unterzeichnen, „dass (mindestens) ein Vorstandsmitglied des vermeintlich unterlegenen Vereins im neuen Vorstand tätig sein wird“, oder dass die Beteiligten gemeinsam die Namensfindung durchführen.
Eine Webseite, auf der die Ergebnisse solcher Studien zusammengefasst werden, wäre ein tolles Angebot für die Amateure. Die DFB-Akademie, die sich schon vor ihrer Fertigstellung dem Vorwurf ausgesetzt sieht, ein Eliteprojekt zu sein, könnte auch zum Wissensspeicher für den Breitenfußball werden. Auf Anfrage ließ ein DFB-Sprecher allerdings wissen, dass ihm von einem solchen Vorhaben nichts bekannt sei.
Protokoll: Oliver Fritsch
Tim Frohwein
Tim Frohwein ist Soziologe und setzt sich seit über einem Jahrzehnt wissenschaftlich und journalistisch mit dem Amateurfußball auseinander. Seit bald zwanzig Jahren kickt er in den Herrenmannschaften des FC Dreistern München.