Kolumne Tim Frohwein

Die Droge, die Teil unserer Vereinskultur ist

Fußball und Saufen gehört zusammen. Gesund ist das nicht, bisweilen sogar tödlich. Wir sollten uns einen vernünftigeren Umgang mit Alkohol überlegen, schreibt TIM FROHWEIN, der auch gerne ein Bier trinkt.

Bei einem Amateurfußballverein im Münchner Osten gibt es für die Herrenmannschaften einmal im Jahr Suppe. Es ist eine außergewöhnlich riechende, ziemliche kalorienreiche Suppe: Sie besteht ausschließlich aus diversen hochprozentigen alkoholischen Getränken. Zum Sommerfest bringen die Fußballer nämlich ihre Restbestände an Schnaps, Whiskey oder Likör mit, die dann in einem Topf zusammengeschüttet werden. Spieler, die in der zurückliegenden Saison mit Fehlverhalten oder sonstwie aufgefallen sind, müssen die Suppe dann auslöffeln – gerade stehen kann danach keiner mehr von ihnen.

Dieses Ritual mag in Vereinen nicht die Regel sein, steht aber doch beispielhaft für den Umgang mit Alkohol im deutschen Amateurfußball: Er ist Teil der Vereinskultur, fließt auf Mannschaftsabenden in rauen Mengen oder wird nach einem Sieg vom Vorstand als Belohnung ausgegeben.

Dass Sport und Alkohol sich eigentlich nicht besonders gut vertragen, wird ignoriert. „Nach dem Spiel sollte Alkohol tabu sein. Das wirkt sich negativ auf die Regeneration aus“, sagt der Sportmediziner Dr. Martin Lueg, der unter anderem als Mannschaftsarzt im Nachwuchsleistungszentrum des TSV 1860 München gearbeitet hat, im Interview mit dem Münchner Merkur. „Alkohol reduziert die Neubildung von Proteinen in den Zellen. Er hemmt die Wachstumsfaktoren und somit alles, was ich für den Muskelaufbau brauche.“ Das Bier danach – aus medizinischer Sicht ist es nicht sinnvoll.

Die Biere davor – wenn die Mannschaft vor einem Spiel mal wieder die Nacht zum Tag macht – sind es genauso wenig. Die Medizinerin Annabelle Clément hat in ihrer jetzt erschienenen Doktorarbeit erstmals anhand einer großen Stichprobe untersucht, wie sich Alkoholkonsum in der Nacht
vor einem Fußballspiel auf die Verletzungsanfälligkeit auswirkt. Sie kommt zu dem Schluss, dass sich Spieler, die sich am Morgen des Spieltags noch betrunken fühlten, signifikant häufiger verletzten. „Zudem“, schreibt sie, „kam es bei erhöhtem Alkoholkonsum, also mehr als zwei Liter konsumierter alkoholischer Getränke, signifikant häufiger zu Überlastungsbeschwerden.“

Der (oft vergeblich) geäußerte Wunsch des Trainers, doch bitte vor dem Spiel auf einen Rausch zu verzichten, ist meist die einzige Maßnahme, die in Vereinen ergriffen wird, um die Sensibilität für die Wirkung und die Gefahren des Alkohols zu erhöhen. In Fanszenen von Proficlubs, in denen das Bewusstsein für gesellschaftliche Probleme generell hoch ist, sieht es anders aus: Im Stadion des FC St. Pauli gibt es mit dem „Trockendock I“ seit einiger Zeit einen alkoholfreien Getränkeverkaufsstand, auch als Angebot für diejenigen, die alkoholkrank waren und den Kontakt mit der Droge zu meiden versuchen. Die „Weiß-braunen Kaffeetrinker*innen“, die hinter der Aktion stecken, wurden jetzt von der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur als Fanclub des Jahres 2022 ausgezeichnet.

Für die meisten Amateurfußballer mag die Omnipräsenz des Alkohols im Verein nur gesundheitsgefährdend sein. Für trockene Alkoholiker ist sie lebensgefährlich. Um diese Personen, genauso wie Menschen, die aus Prinzip oder religiösen Gründen, keinen Alkohol trinken, nicht
auszuschließen, müssen sich Amateurfußballvereine fragen, wie stark diese Droge Teil der Vereinskultur sein muss. Muss der Einstand eines neuen Spielers immer mit einem Kasten Bier gefeiert werden? Braucht es im Mannschaftschat ständig Videos vom Bier-Pong-Spielen?

Ich bin kein Abstinenzler. Ich sitze nach dem Training gerne bei einem Bier in geselliger Runde. Darf ich diese Fragen trotzdem stellen?

Tim Frohwein

Tim Frohwein

Tim Frohwein ist Soziologe und setzt sich seit über einem Jahrzehnt wissenschaftlich und journalistisch mit dem Amateurfußball auseinander. Seit bald zwanzig Jahren kickt er in den Herrenmannschaften des FC Dreistern München.

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Michael

    Da muss ich ein wenig schmunzeln ? Im Grunde wünschen wir uns doch die gesellige Runde nach dem Training und dem Spiel, die es in der klassischen Form der „guten alten Zeit“ nicht mehr gibt. Es werden halt immer weniger Spieler/innen, die diesen gesellschaftlichen Teil des klassischen Vereins noch leben wollen. Irgendwie kann ich mir das bei einem Glas Pfefferminztee oder Elektolytgetränk auch nicht so vorstellen. Ich sage mal, auch hier gilt das phamazeutische Prinzip: Die Dosis macht das Gift!

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