Es reicht. Dieser Gedanke kommt vielen Vorständen von Fußballvereinen in den letzten Wochen häufig in den Kopf. Immer neue Corona-Verordnungen führen zu immer neuen Anordnungen. Die Politik irrlichtert, viele Behörden kommunizieren unklar, sind oft selbst nicht auf dem Stand der Dinge. Auf den Plätzen steigt die Wut, weil niemand mehr Planungssicherheit hat. Die Stimmung in den Vereinen wird negativer, das Binnenklima ruppiger. Vorstände verzweifeln an Trainern, Trainer an Spielern, alle zusammen an Eltern. Aber es ist ja auch schwer zu verstehen, warum die ihren Kindern manchmal zusehen dürfen, manchmal nicht.
In Berlin haben wir eine Gesundheitsbehörde, die nach der Demo der Corona-Leugner Ende August Stärke zeigen will. Die verstrahlten Protestler werden darüber nur lachen, doch getroffen werden von den fraglichen, unplausiblen Verschärfungen unter anderem die Fußballer. Drei Beispiele:
– Nach dem Training darf (mit Mindestabstand) geduscht werden, nach
Punktspielen nicht.
– Bei eintrittspflichtigen Spielen müssen Anwesenheitslisten geführt
werden, bei Spielen ohne Eintritt nicht.
– Vor Punktspielen dürfen die Teams erst dreißig Minuten vor dem Anpfiff
die Sportanlage betreten.
Dass freier Eintritt statt der üblichen 50 Leute vielleicht 80 anlockt, spielt keine Rolle. Man muss auch keine sportmedizinischen Fachkenntnisse besitzen, um zu wissen, dass eine minimale Erwärmungsdauer ein riesiges Verletzungsrisiko darstellt. Aufgrund einer Anordnung der Gesundheitssenatorin kann man eigentlich gleich einen Rettungswagen zum Platz rufen. Und ist Duschen nach dem Spiel gefährlicher als nach dem Training?
Auch in anderen Bundesländern, so ist zu lesen, treibt der Wahnsinn Blüten. Das alles muss man als Vorstand erstmal verstehen und hinnehmen – und dann auch noch seinen Leuten vermitteln. Wer kann einem Ü-50-Spieler erklären, er dürfe die Kabine nicht nutzen, während zeitgleich die A-Jugendlichen duschen?
Kommunikation ist schon immer anspruchsvoll gewesen, doch in diesen Tagen selbst für Profis kaum noch beherrschbar. Immer mehr Kanäle machen es einem nur vordergründig leichter. Eigentlich wird es immer komplizierter. Während sich viele Ältere inzwischen an E-Mails gewöhnt haben, kommunizieren andere vor allem über Social Media, wieder andere nur noch per Handydienst. Und dann gibt es ja auch noch eine Reihe von Tools zur Organisation von Trainingsgruppen.
Für die Jugendleitungen und Vorstände ist es daher zurzeit umso wichtiger, dass sie sich auf ihre Multiplikatoren im Verein verlassen können. Aber wenn ein Verband am Donnerstag um 21 Uhr eine Info-Veranstaltung beendet und die ersten Spiele am Samstag um 9 stattfinden, bleiben gerade mal sechsunddreißig Stunden, um alle wichtigen Neuigkeiten weiterzureichen. Da die meisten Ehrenamtlichen arbeiten, ist das kaum zu bewerkstelligen. Vom Privatleben ganz zu schweigen.
In den Verbänden, die sich immer weiter von der Basis entfernen, sitzen zudem wenige Praktiker. Jede Kommunikation stößt nämlich an Grenzen, wenn ein Verband – wie in Berlin geschehen – zwei Tage vor dem Wochenende den Spieltag komplett absetzt und beschließt, nur noch eine einfache Runde zu spielen, die Saison also zu halbieren. Dann muss man vor allem erstmal den Frust der Aktiven bewältigen.
Zum Saisonauftakt von RB Leipzig hingegen dürfen, dank der Lobby des Profifußballs, 8.500 Zuschauerinnen und Zuschauer ins Stadion. Dabei teilen Bayern und Sachsen eine Landesgrenze. Die Tatsache, dass 800 Besucher in einem geschlossenen Dortmunder Saal einem Konzert beiwohnen durften, bleibt den ohnehin schon verärgerten Vereinsmitgliedern auch nicht verborgen. Der Eindruck verstärkt sich, dass Amateurfußball nicht mehr viel zählt. Dabei wären sieben Millionen DFB-Mitglieder, davon rund die Hälfte aktive Sportlerinnen und Sportler, eine hochinteressante Zielgruppe für die an Politikverdrossenheit leidenden Parteien. Sicher, auch vielen Vereinen ist vorzuwerfen, den Fokus zu sehr auf die 1. Herren zu legen. Aber wer kann sich an Statements von Politikern erinnern, die den Wert einer Kinder- und Jugendarbeit im Fußball oder den integrativen Faktor des Sports hervorheben?
In Sonntagsreden hieß es früher: „Sportvereine sind Schulen der Demokratie.“ Diese Erkenntnis scheint verloren zu gehen, was sich in der Zeit, in der sich viele in die Arme von Leuten treiben lassen, die die Demokratie ablehnen, als fatal herausstellen könnte. Dass sie mehr werden – auch das erkennt man zurzeit in manchem Fußball-Forum.
Protokoll: Oliver Fritsch
Gerd Thomas
Gerd Thomas ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.