Lasst es uns angehen!

Wem gehört der Fußball? Wer hat die Deutungshoheit? Und wer kennt am besten die Rezepte, die Nationalmannschaften wieder in die Weltspitzt zu befördern? Wie kriegen wir mehr Leute ins Ehrenamt? Immerhin wird diskutiert, meistens aber eher lamentiert. Vorschläge lesen sich wie ein Sammelsurium guter Ratschläge, Befindlichkeiten und Besserwisserei. Hin und wieder sind auch kluge Analysen dabei. Am Ende wissen wir alle nicht, wohin der Weg des Fußballs geht, doch wir müssen uns aufmachen. Der Weg ist das Ziel. Von GERD THOMAS

„Der deutsche Fußball ist nicht reform- und damit nicht zukunftsfähig! Es braucht mehr Offenheit und umfassender Strukturanpassungen. Der Fußball muss seine Rolle als Impulsgeber wieder wahrnehmen.“ Das sind drei Forderungen aus einem Beitrag einer sehr geschätzten Person in einem Social-Media-Netzwerk, das vornehmlich von Geschäftsleuten und Multiplikatoren genutzt wird. Hingegen lese ich in Netzwerken, die von der breiten Masse genutzt werden, ganz andere Hinweise. Da ist auch mal von deutschen Tugenden die Rede, von der fehlenden Härte, für viele war früher fast alles besser. Auf einer gut besuchten Seite mit dem Titel „Amateurfußball“ finden sich allerdings vorwiegend Filmchen aus europäischen Profiligen, garniert mit kuriosen Fundstücken und Filmchen. Was dort fehlt, ist eine Diskussion in der gesamten Breite. Immerhin beschäftigen sich auch Medien wie der Kicker, einige Tageszeitungen oder das großartige Zeitspiel-Magazin mit den Problemen.

Egal, zu welcher Lesart, zu welchem Medium man sich eher hingezogen fühlt: Der Fußball ist immer noch ein Sport für die gesamte Gesellschaft. Damit hat er etwas, das weiten Teilen des öffentlichen Lebens in Deutschland abhandengekommen ist. Gleichwohl gibt es auch im Fußball zunehmend die Haltung: „Die da oben müssen es so machen, damit ich mich wohlfühle.“ Eine differenzierte Betrachtung findet immer seltener statt. Die nervtötende deutsche Nölerei ist auch im Fußball längst Alltag. Konstruktive und umsetzbare Verbesserungsvorschläge direkt von der Basis der Vereine sind selten, Kritik über die Bedingungen und nicht zuletzt Klagen über die Belastung dominieren.

Ich war in den letzten vier Wochen bei zwei so genannten Klassentagungen des Berliner Fußball-Verbands. Bei der Landesligasitzung waren von 31 Vereinen 11 anwesend. Bei der Tagung der Jugendverbandsligen waren es gar nur 8 Clubs. Woran ist das Desinteresse festzumachen? In Berlin sind die Wege, anders als in Bayern oder Brandenburg, kurz. Kein Verein muss mehr als 30 Kilometer bis zur Verbandszentrale fahren. Die Sitzungen beschränken sich auf das Wesentliche und gehen nicht bis in die tiefe Nacht. Und es besteht immer die Möglichkeit, sich mit Anregungen oder Kritik einzubringen. Trotzdem ist der Zuspruch gering. Gleichzeitig hört man am Wochenende immer wieder Gezeter über Dinge, die den Meckerern nicht passen. Dabei werden die Spielordnung und die Durchführungsbestimmungen für die Saison von den Vereinen abgestimmt. Natürlich nur von denen, die anwesend sind. Der Fußball ist in seiner Verbandsstruktur völlig demokratisch aufgestellt. Dass dieses nicht allerorten so gelebt und oder gar kultiviert wird, ist eine andere Diskussion.

Natürlich ist es die Aufgabe der Verbände, die Warnsignale ernst zu nehmen und bei unheilvollen Trends Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die Präsidien und das ihnen zur Verfügung stehende Hauptamt müssen die Fußballerinnen und Fußballer so gut und so oft wie möglich (und sinnvoll) zusammenbringen. Das funktioniert in den letzten Jahren zunehmend schlechter. Corona und das Gewöhnen an Videokonferenzen mögen eine Rolle spielen. Auch hat der deutsche Fußball zurzeit nicht gerade viel Strahlkraft. Der Deutsche Meister steht seit Jahren schon vor der Saison fest, die Nationalteams begeistern und gewinnen zu selten. Aber auch an der Basis wirkt es oft wie in einer bleiernen Zeit. Vor allem haben viele Vereine den Übergang von den nach dem Krieg geborenen Baby-Boomern hin zu den Generationen X (1965 – 80), Y (1981 – 96) oder gar Z (ab 1997) nicht in ausreichendem Maße hinbekommen. Immer noch dominieren in den Leitungsebenen die über 60- und 70-jährigen, meist männlich und weiß. Bei den besagten Sitzungen war nicht eine einzige Frau anwesend. Selbst die Geschicke der Jugend wurden von der beschriebenen Gruppe, der ich auch angehöre, diskutiert. Aber Lamentieren hilft nicht weiter

Immerhin haben wir einige wichtige Dinge besprochen, z. B. wie wir den Umgang mit Schiedsrichtern verbessern können. Aber auch, wie die Ansetzungen der Unparteiischen sinnvoller zu gestalten wären. Es ist nicht gut, wenn bei einem Verbandsligaspiel der U19 der 17-jährige Schiedsrichter der Jüngste auf dem Platz ist oder er direkt vom unmittelbaren Ortrivalen kommt. Auch müssen sich die Entscheider bei DFB und FIFA hinterfragen, denn diese interessieren sich vor allem um die Eliteförderung, was sich schon bei den Spielern falsch ist.

Ich selbst wies auf einen vom Berliner Senat ausgelobten Fördertopf für die Euro2024 hin, in dem wenigstens 500.000,– Euro für Projekte rund um die EURO zur Verfügung stehen und von Vereinen beantragt werden können. Voraussetzung: Es sollen nachhaltige Projekte sein, ob nun im ökologischen oder sozialen Bereich. Eine zusätzliche halbe Millionen steht für Organisationen außerhalb der Vereine zur Verfügung, die Kriterien sind dieselben. Während der zweite Topf nahezu ausgeschöpft ist, liegt von den Berliner Vereinen bisher kaum ein Antrag vor. Auch das ist ein Hinweis auf die Arbeitsfähigkeit von Fußballvereinen.

Mit der Unterstützung des Berliner Fußball-Verbands haben wir eine Projektidee eingebracht. Hierbei geht es vor allem darum, die Vereine zusammenbringen und gemeinsam über Lösungsansätze diskutieren zu lassen. Nach dem Tod des Berliner B-Jugendlichen bei einem Turnier in Frankfurt, aber auch nach anderen Ausschreitungen gab es zunächst die üblichen Reflexe: „Hohe Strafen! Mehr Ordner! Die betreffenden Vereine rauswerfen!“ Die unappetitlichen Reaktionen aus der rechtsextremen Szene, die es zuhauf gab, verkneife ich mir an dieser Stelle. Nun gibt es eine Sportgerichtsbarkeit, die zuständig ist. Der Frankfurter Fall liegt gar bei der Staatsanwaltschaft. Aber was können wir präventiv tun? Jeden Monat einen Workshop für Trainer oder Vorstände durchführen, ist nicht realistisch.

Wir müssen die Menschen in den Vereinen miteinander ins Gespräch bringen und ein neues Gefühl der Solidarität entwickeln. Wir alle können unseren Sport nur in einer funktionierenden Gemeinschaft ausüben. Das ist in den letzten Jahren bei vielen in Vergessenheit geraten. Zudem müssen wir alle lernen, mit den Herausforderungen einer vielfältigeren Gesellschaft umzugehen, denn diese zeigt sich nicht zuletzt auf dem Fußballplatz. Es geht um Respekt, um gemeinsame Spielregeln, um die Funktionsfähigkeit der Vereine.

Gemeinsam mit einer Expertin für Fußballeltern (die gibt es wirklich) haben wir uns bem FC Internationale hingesetzt und überlegt, was wirklich helfen könnte und haben zunächst drei Felder identifiziert:

  • Die Stärkung der Vereins-Strukturen, vor allem der Vorstände und Gremien
  • Die Stärkung von Trainerinnen und Trainern im Bereich der Sozialkompetenz
  • Der Umgang mit Eltern und im besten Falle deren Einbindung in die Vereinsarbeit

In drei unterschiedlichen Veranstaltungen wollen wir nicht dozieren oder anweisen, sondern gemeinsam versuchen, die Probleme genauer zu identifizieren. Wir wollen Vereine fragen, wo der Schuh drückt und nach Verbesserungs- und Lösungsansätzen suchen. Wollen wir erfolgreich sein, können wir den Fußball nur gemeinsam weiterentwickeln. Das bedeutet, dass Verbände lernen müssen, mehr Partizipation zuzulassen, was übrigens auch für Politik und nicht zuletzt für Behörden gilt. Verantwortliche in Vereinen sind genau wie andere Menschen entnervt von Gängeleien oder der Dysfunktionalität der Kommunen, aber das ist ein Extra-Thema für eine andere Kolumne. Gemeinsam heißt aber auch, dass es konstruktive Beiträge aus den Vereinen braucht.

  • Was stört oder behindert sie?
  • Was würde ihnen helfen?
  • Was können sie selbst zur Verbesserung beitragen?

Sport-Deutschland hatte schon bessere Tage, nicht nur im Fußball. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine Wende hin zu besseren Ergebnissen nur hinkriegen, wenn wir die Basis der Vereine und Sporttreibenden motivieren, sich auch abseits des Platzes zu engagieren. Mit Top-Down-Strategien werden wir nicht weit kommen, ebenso wenig mit der Haltung „Die da oben müssen machen!“. Es geht nur gemeinsam. Im besten Falle entwickeln wir gemeinsam eine Aufbruchstimmung für den Sport, schaffen die Voraussetzungen dafür, dass Engagement in Vereinen wieder mehr Spaß macht.

Die großen Verbände DFB und Deutscher Olympischer Sportbund sind hier gefordert. Bei beiden Organisationen sind viele neue Leute in den Präsidien, sie sollten den Beweis antreten, dass ihnen am Aufbruch gelegen ist. Zwei große Kongresse stehen an: Der DFB-Amateurkongress vom 22. – 24.  September und zwei Wochen vorher (07. + 08.09.) das Dialogforum Sportentwicklung des DOSB. Ein guter Anfang.

Ich wünsche mir vor der kommenden EURO2024 und den kurz davor anstehenden Europawahlen, dass wir eine große Kampagne für den gesamten Sport hinbekommen. Nicht nur mit Plakaten und Social-Media-Posts, sondern mit ehrlicher Begeisterung und echter intrinsischer Motivation vieler Menschen. Aus den Vereinen, den Verbänden, der Zivilgesellschaft, der Politik und nicht zuletzt der Wirtschaft. Denn die hat nicht nur aufgrund des Fachkräftemangels ein besonderes Interesse an der Ausbildung von Persönlichkeit in den Vereinen. Unser Land ist inzwischen ziemlich zerrissen, das offensive Eintreten für Freiheit, Demokratie und Wohlstand ist genau wie die Mitbestimmung und das Engagement vielen zu anstrengend. Der Sport hat wie kaum sonst etwas die Möglichkeit, die Leute wieder zu einer Einheit zusammenzuführen.

Gerd Thomas

Gerd Thomas

Gerd Thomas ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.

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