Wem gehört der Fußball? Das fragte der DFB-Vize Rainer Koch am Samstag im Aktuellen Sportstudio Katrin Müller-Hohenstein, die eigentlich ihn interviewte. Ihre Antwort „Der Fußball gehört den Fans“ legte ein Problem offen: Das ZDF blendet eine wichtige Gruppe weitgehend aus: die Amateurvereine und ihre Mitglieder.
Nun könnten wir es uns leicht machen und uns darauf einigen, dass fast alle Amateure auch Fans eines Proficlubs sind. Doch so war das sicher nicht gemeint. Damit würden wir auch selbst das Narrativ schüren, beim Fußball würde sich alles um den international inzwischen völlig überdrehten und national total langweiligen Fußball drehen. Das ist nicht der Fall. Nicht nur das Fehlen deutscher Teams in den Halbfinals der europäischen Wettbewerbe oder die neunte Meisterschaft der Bayern in Serie lassen viele stöhnen und gähnen. In den Wintermonaten konnte die DFL vielen noch verkaufen, dass sie für Abwechslung sorgt.
Für die beste Unterhaltung sorgte ohnehin der DFB, Dachverband der 21 Landesverbände und damit höchstes Vertretungsorgan der Amateure. Nur wurde dort zuletzt fast gar nicht über sie gesprochen. Zwar betete man den Satz „Fußball ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung“ herunter, setzte ein paar verbandelte Ärzte als Virus-Experten in die Spur. Diese verbreiteten erwartbare Einschätzungen, garniert mit erwartbaren Ergebnissen aus Umfragen. Wirklich ernstgenommen wurde der DFB nicht. Im Gegensatz zur DFL, die in politische Kreise eindrang und mit einem bemerkenswerten Krisen- und PR-Management die Geldmaschine Profifußball am Leben hielt, es auch schaffte, diese als systemrelevant darzustellen. Nun, Politikerinnen sind eben auch Fans.
Nicht gelungen ist eine Kampagnenfähigkeit der Amateure. Deren erster Vertreter Koch beklagt das seit Monaten, muss sich aber natürlich auch fragen, warum das so ist. Er versuchte im ZDF-Interview zwar immer wieder, die Verhältnisse zwischen den einzigen Gruppen im DFB klarzustellen, doch so genau wollte die Reporterin das nicht wissen.
Dabei wäre es durchaus interessant gewesen, etwas über die Strategien zu den Verhandlungen über Gelder aus TV-Rechten zu erfahren. Sicher, die Fragen zu eigentümlichen Mails, diskreditierenden Äußerungen, intransparenten Beraterverträgen oder den Machtkämpfen waren bissig. Aber mal davon abgesehen, dass ein erfahrener Medienprofi wie Rainer Koch solche Anwürfe routiniert retourniert, habe selbst ich als absoluter Heavy User in Sachen DFB-Berichterstattung irgendwann den Überblick verloren. Den erlangte ich erst wieder, als Rainer Koch und sein Gegner je sechs Mal an der Torwand scheiterten.
Es wäre zu einfach, die schwache Position der Amateure alleine dem DFB anzulasten, womit ich zur Rolle der Medien komme. Man kann darüber streiten, ob Koch noch der richtige Mann ist, um die Belange der Amateure zu vertreten. Doch wer könnte es sonst? Und warum gibt es so wenige Alternativen? In den Medien gibt es seit Monaten, seit Jahren ein Bashing gegen die alten Männer im DFB, wobei auffällt, dass die DFL-Granden deutlich besser wegkommen. Doch der Kern des Problems wird ignoriert. Dazu bräuchte man allerdings auch Einblicke in die Landesverbände.
Kritik an einzelnen Funktionsträger wird nicht ausreichen. Ich glaube vielmehr, dass das ganze System auf den Kopf gestellt werden müsste. Die Hartplatzheldin Ute Groth, die Vorsitzende der TuSa Düsseldorf, hat vor zwei Jahren erlebt, dass sie trotz ihrer Ambitionen nicht einmal zur Wahl zugelassen wurde. Sie wurde kalt abserviert. Wenig später gab es eine Anhörung verschiedener Stakeholder, die im Auftrag des DFB von einer Personalagentur mit wahrscheinlich guten Stundensätzen durchgeführt wurde. Auch ich durfte meine Meinung abgeben, wer an der Spitze stehen solle. Am Ende entschied man sich für Fritz Keller und ein beschnittenes Amt des Präsidenten. Headhunter hatten ihn empfohlen. Spätestens nach Kellers berühmten Rote-Socken-Interview im Sportstudio im März 2020 wurden erste Zweifel laut, die sich im Laufe der Zeit erhärteten.
Was wäre die Alternative zu Keller? Sind die Lager überhaupt zu einen? Denn machen wir uns nichts vor: Nach der zweiten Corona-Saison in Folge geht es für alle mehr denn je ums Ganze – vor allem ums Geld. Die Zankereien zwischen DFB, DFL und Landesverbänden haben sicher nicht zurSolidarisierung im Fußball beigetragen. Seit Tagen bringen Medien oder interessierte Alt-Profis jede Menge Leute ins Spiel, die Vorsitzende und erste Verteidigerin Qatars Syliva Schenk von Transparency International Deutschland positionierte sich in der FAS gleich selbst. Meine Kollegin Ute Groth erzählte jüngst, wie sich die Medienanfragen bei ihr häufen. Natürlich begrüße ich es, wenn Ute als Vertreterin eines Amateurvereins zu Wort kommt, denn das kommt in vielen Medien nicht häufig vor.
Aber wollen wir wirklich auf die nächste Person warten, die als Heilsbringerin alles richten soll? Oder wollen wir uns nicht besser Gedanken über ein zeitgemäßes Fußballsystem machen? Warum denken wir nicht über eine Urwahl aller 24.500 Vereine nach? Jeder Verein hat eine Stimme, ob Bayern München, Schalke 04 oder der HSV genau wie Blau-Weiß Beelitz, Türk Gücü Hanau oder der TSV Apensen und kann aus mehreren Kandidatinnen wählen. Man nennt das Demokratie.
Warum versuchen wir nicht, einen Kongress zu organisieren, an dem alle teilnehmen können, die gestalten wollen? Nicht nur ausgewählte Vereinsvertreterinnen, die sich Vorträge von Funktionären anhören müssen, wie beim letzten DFB-Amateurkongress, dem ich beiwohnen durfte. Stattdessen eine Veranstaltung, auf der Transparenz geschaffen wird, Positionen ausgetauscht werden, voneinander gelernt werden kann? Auf dem versucht wird, eine Annäherung zwischen Profis und Kreisligisten herzustellen. Die Fußballfamilie hat doch im letzten Jahr gelernt, dass dies sogar digital stattfinden kann.
Wir könnten auf einer in Berliner Idee aufbauen. Dort wurde auf Initiative von Vereinen mit mehr als 90 Prozent Zustimmung eine AG Zukunft ins Leben gerufen. Die Ergebnisse liegen vor und sind teilweise innovativ und ambitioniert. Vor allem aber wurden sie in erster Linie von der Basis, also von Menschen aus den Vereinen, erarbeitet. Auch wenn es ein paar Startschwierigkeiten gab und nicht alles wie vorher gewünscht lief, der Austausch und die Diskussion um die Zukunft des Berliner Fußballs sind nicht aufzuhalten: Stärkung des Mädchen- und Frauenfußballs, zeitgemäße Sportanlagen, gesellschaftliches Engagement, Stärkung des Ehrenamts, Digitalisierung.
Ein Augenmerk galt auch den Strukturen. Nicht alle Arbeitsgruppen und Teilnehmenden waren immer einer Meinung, aber die Professionalisierung der Verbände, alternative Finanzmodelle oder gar Amtszeitbegrenzungen waren ebenso auf der Tagesordnung. Und passend zur Debatte beim und um den DFB lautet eine Handlungsempfehlung, eine „Respekt-Charta“ einzuführen. Ebenso soll ein Verbandsleitbild erarbeitet werden und mindestens ein Drittel Frauen in den Gremien Platz bekommen. Was davon umgesetzt wird, obliegt dem im August stattfindenden Verbandstag und dem dann zu wählenden Präsidium.
Nun ist die Diskussion eines Landesverbands nicht gleich auf den DFB zu übertragen. Doch haben sich die Vereine in Berlin immerhin auf den Weg in die Zukunft gemacht und die Corona-Krise genutzt. Viele hatten durch das Verbot der sportlichen Betätigung mehr Zeit als sonst und zugegeben, um Positionen und Meinungen wird in Berlin auch abseits der AG Zukunft stets leidenschaftlich gerungen. Die Frage an alle Verbäne und Vereine ist nun: Wer ist bereit, vom anderen zu lernen?
Gerd Thomas
Gerd Thomas ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.
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