Tim Frohwein schrieb in seiner letzten HARTPLATZHELDEN-Kolumne „Deutsche Schiedsrichter pfeifen immer gegen Türken“ dass Vielfalt eine Aufgabe ist, die gemanagt werden muss. Das muss sie tatsächlich. Denn Nichtstun, Weggucken und Verschweigen lösen das Problem nicht. Im Gegenteil, es führt dazu, dass sich Rassismus und Diskriminierung in einer zunehmend polarisierten Atmosphäre schleichend einen Platz auf und neben deutschen Fußballplätzen sichern.
Bevor wir allerdings die Frage stellen, wie wir Wertschätzung von Vielfalt und Zusammenhalt fördern, müssen wir uns erst gestehen: Diskriminierung auf deutschen Fußballplätzen ist real. Sie findet statt, täglich, gegen unterschiedliche Gruppen unserer Gesellschaft. Schwarze, Muslime, Homosexuelle, Frauen, Übergewichtige, sozial und wirtschaftlich benachteiligte Gruppen, aber selbst Menschen ohne Migrationsgeschichte werden von Menschen mit Migrationsgeschichte diskriminiert.
Wer von uns hat nicht schon mal mindestens einen der folgenden Sätze gehört?
– „Bei Muslimen musst du nur mal leise die Mutter beleidigen, dann rasten die aus.“
– „Gegen die Deutschen treten wir möglichst aggressiv auf, dann machen die sich in die Hose.“
– „Die Frauen können gerne Fußball spielen, dann haben wir zumindest was zu gucken.“
– „Wenn ich auf dem Spielbericht sehe, dass mehr als die Hälfte aller Spieler Ausländer sind, ziehe ich zur Abschreckung bei der ersten Aktion die Gelbe Karte“ (sagte einst ein Schiedsrichter zu mir).
Eine Studie im Auftrag des Belgischen Fußballverbands hat herausgefunden, dass 36 Prozent aller Jugendspieler und -spielerinnen schon mal Opfer von Diskriminierung waren und sogar 95 Prozent aller Befragten:innen schon mal Gewalt auf Fußballplätzen erlebt haben. Die Zahlen dürften in Deutschland ähnlich sein.
Meiner Meinung nach werden wir Diskriminierung jeglicher Form nur in den Griff kriegen, wenn wir es aus zwei Richtungen angehen. Wir brauchen einerseits präventive Maßnahmen, die frühestmöglich unsere Kinder und Jugendlichen sensibilisieren. Andererseits müssen wir drastisch gegen Diskriminierungsfälle vorgehen, und zwar top-down. Angefangen beim DFB, über die Verbände, die Kreise bis in jeden einzelnen Verein darf Diskriminierung nicht mehr als Kavaliersdelikt verstanden werden und unter der Kategorie „Alles halb so wild, wir sind ja hier beim Fußball und nicht beim Ballett, da geht es auch mal was rauher zu“ abgekanzelt werden.
Ich darf mich nicht mehr schlecht fühlen oder Sorge haben müssen, wie damit umgegangen wird, wenn ich dem Fußballkreis einen Diskriminierungsfall melde. Oft wird dir dann das Gefühl vermittelt: „Ach der schon wieder, regt sich wegen jeder Kleinigkeit auf.“ Wenn ich den Diskriminierungsfall eines Schiedsrichters melde, der einen abfälligen Kommentar gegenüber einer kopftuchtragenden Spielerin abgibt, dann habe ich Sorge, dass ich folgende Antwort bekomme: „Ach, das hat der Dieter sicher nicht so gemeint. Das hast du bestimmt falsch verstanden.“
Dr. Thaya Vester berichtet, dass viele Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen den Aufwand und die sich anschließenden Konflikte meiden möchten, der durch die Erwähnung eines Diskriminierungsfalls im Spielbericht entsteht. Gegen diese Denkart müssen wir konsequent angehen.
Aber wie will man erreichen, dass Vielfalt wertgeschätzt und Diskriminierung bekämpft wird, wenn in den entscheidenden Positionen auf allen Ebenen keine Vielfalt repräsentiert ist? Der DFB muss vorangehen. Er muss klar Position beziehen, etwa so: „Diskriminierung jeglicher Form hat bei uns keinen Platz. Jeder Form der Diskriminierung wird nachgegangen und sie zieht konsequente Strafen nach sich.“ Im gleichen Zug muss der DFB all seinen Mitgliedsvereinen authentisch vermitteln: „Egal wie ihr heißt, wie ihr euch zusammensetzt, welchen kulturellen, religiösen oder nationalen Schwerpunkt ihr habt, solange ihr euch an die geltenden Regeln und Werte im Sport und in der Gesellschaft haltet, seid ihr uns herzlich willkommen und wir sehen euch als Teil des Deutschen Fußballs.“
Diese Botschaften müssen allerdings mehr als Lippenbekenntnisse sein. Hochglanzkampagnen hatten wir genug. Kleinreden oder wegschauen machen es nur schlimmer. Wir brauchen konkrete Maßnahmen in der Praxis, die die ernstgemeinten Botschaften unterstreichen.
Welche konkreten Maßnahmen das sein können und was die Vereine an der Basis tun können, um Diskriminierung präventiv anzugehen – dazu werde ich mich in meiner nächsten Kolumne äußern.
Protokoll: Oliver Fritsch
Younis Kamil
Younis Kamil ist Erster Vorsitzender des ISC AlHilal Bonn, einem Stützpunktverein für Integration und Gewinner mehrerer Integrationspreise.