Der Profifußball steckt in Problemen, Corona lässt Geldquellen zumindest vorübergehend versiegen. Zwar mahnten zu Beginn der Pandemie viele mehr Solidarität an, doch bereits Wochen später gab es Ärger um die Verteilung der TV-Erlöse. Und nachdem der zum G15-Gipfel einladende Karl-Heinz Rummenigge einige von ihm nicht eingeladene Vereine öffentlich abgewatscht hatte, ist klar: Wer den beiden Großen nicht folgt, bekommt eins drauf. Wie konnten es Vereine wagen, sich eigene Gedanken zu machen? „Es ist natürlich schwer für Karl-Heinz zu akzeptieren“, sagte daraufhin Ewald Lienen, „dass wir uns in einer Demokratie befinden“.
Wie sieht es auf Seiten der Amateure mit dem Wir-Gefühl aus? Auch hier kam mit Corona kurz Hoffnung auf, man würde zusammenrücken. Spätestens mit der Diskussion um die Wertung der Saison war es aber vorbei mit der gemeinsamen Linie. Nur Bayern ging als Landesverband voran und warb für die Unterbrechung mit späterer Fortsetzung. Zitat BFV Chef Rainer Koch: „Wir wollen uns nicht diese und dazu noch die nächste Saison zerschießen, falls das Virus zurückkehrt.“
Wollten zunächst viele Landesverbände dem bayerischen Weg folgen, stand der Freistaat am Ende alleine da. Heute sind viele Funktionäre leise geworden, vielen wäre wohler, hätte man auch Kochs Weg beschritten. Nun heißt es hoffen, dass bis zur Mitte des Jahres wenigstens die Hinrunde durchzukriegen ist.
Warum haben sich die Amateure in Probleme gebracht? Zunächst wollten viele im Mai nicht wahrhaben, dass Corona uns noch lange begleiten wird. Eine durchaus verzeihliche Fehleinschätzung. Doch schnell stellte sich heraus, dass auch monetäre Gründe bei einer Reihe von einflussreichen Vereinen im Vordergrund gestanden hatten. Sie hatten vor Corona viel Geld für Legionäre ausgegeben. Vor allem aber waren, anders als in Bayern, die Funktionäre der Landesverbände nicht in der Lage, die
Solidarität umzusetzen.
Zaudernd und stümpernd wurden die damals noch ungewohnten Videokonferenzen durchgeführt. Es gab wenig Steuerung, wenig Kommunikation, wenig Haltung. Statt einen Standpunkt zu vertreten und die Diskussionen zu moderieren, überließen die Landesfürsten die Entscheidungen den Vereinen, was unter diesen zu Friktionen führte.
Da die Verbandsführer niemandem wehtun wollten, vereinbarte man vielerorts: nur Aufsteiger, keine Absteiger. Das führt nun zu zu großen Staffeln von teilweise 22 Mannschaften, damit wäre eine normale Saison schon ohne den neuerlichen Lockdown im November kaum durchzubringen.Wenn am Ende nur eine Hinrunde gespielt werden kann, sollte man sich schon jetzt auf Klagen von Vereinen einstellen, die absteigen oder knapp nicht aufsteigen.
Starke Funktionäre wären womöglich in der Lage, den Prozess zu steuern, doch vielen fehlt es an dieser Eignung. Eine Erkenntnis, die bei einem von mir besuchten DFB-Workshop viele Vereinsvertreterinnen aus verschiedenen Bundesländern teilten.
Schon beim Kasseler Amateurkongress im Februar 2019 zeigte sich, dass Kommunikation und Partizipation nicht die Stärke von Verbänden sind. Die Gesandten der Amateurvereine mussten stundenlange Fachvorträge und sogar drei Podiumsdiskussionen mit dem damaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel über sich ergehen lassen. Viele gingen ernüchtert nach Hause, hatten sie doch gedacht, ihre Ideen wären gefragt.
Auch im Landesverband Berlin zeigte sich dieses Jahr, welch große Probleme ein Präsidium mit Kooperation und Demokratie hat. So waren beim Arbeitsverbandstag im November 2019 zwei Projekte mit überragender Mehrheit von über 90 Prozent beschlossen worden: die AG Zukunft und die Einführung von vier Regionalkonferenzen mit Sprecherräten und Beiratsdelegierten. Beide Beschlüsse wurden lange nicht umgesetzt, die Einrichtung der beiden Institutionen verschleppt und behindert. Schließlich war der Berliner Fußball-Verband kaum handlungsfähig, da die Neukonzeption des wichtigen Beirats mit den Vertretungen der Regionalkonferenzen zwar beschlossen war, vom Präsidium aber nicht umgesetzt wurde. Die AG Zukunft, inzwischen in Future BFV umbenannt, hatte ihre Auftaktveranstaltung erst Anfang August, also neun Monate, nachdem sie auf den Weg gebracht worden war.
Durch Personalquerelen, einen Kinderschutzskandal und jede Menge Tricksereien verstrich weitere Zeit. Es machte den Eindruck, als gäbe es in großen Teilen des Präsidiums keinen Reformwillen. Nun, die AG Zukunft tagt inzwischen in dreizehn Arbeitsgruppen und mit rund 150 Interessierten. Die Initiatoren haben also einen Nerv bei Berlins Fußballerinnen und Fußballern getroffen.
Man muss die Ergebnisse abwarten, aber schon jetzt zeichnet sich zumindest in einigen der Zukunftswerkstätten ab, dass große Würfe gelingen können. Was sich sowohl in der AG Zukunft als auch in früheren Umfragen abzeichnet, ist der Wunsch der Vereine und Aktiven nach Veränderung in ihren Verbänden. Bleibt zu hoffen, dass sie nicht torpediert werden. Für die Amateure ist dieses Thema essentiell, es geht auch um viel Geld. Daher wäre es wünschenswert, wenn die Sportredaktionen mehr über diesen Reformbedarf berichteten.
Und die Amateure sollten mehr zusammenstehen. Unter dem Machtkampf an der DFB-Spitze leiden vor allem sie. Die Profis stimmen ihr Klagelied an und erläutern der Welt, warum sie nichts abgeben können. Man darf getrost davon ausgehen, dass sie längst Pläne aushecken, wie ihre Vereine von Einnahmen der Länderspiele profitieren können. Auf eine Reduzierung der abenteuerlichen Gehälter im Profifußball kommen sie nicht.
Doch wie schaffen es die Amateure ihrerseits kampagnenfähig zu werden? Slogans wie „Das Ehrenamt ist unbezahlbar“, der aktuelle des DFB, werden nicht reichen, um Politik, Wirtschaft und Bevölkerung zu vermitteln, was der Amateurfußball für die Gesellschaft leistet. Die gesellschaftliche Verantwortung muss viel stärker sichtbar gemacht werden, der stupide Begriff des „letzten Lagerfeuers der Gesellschaft“ wird dem nicht gerecht. Ob der Autor dieses Zitats – der DFB-Präsident Fritz Keller – die Amateure wirklich im Blick hatte, als er vom DFB als „seriöser Anwalt, Dienstleister und Lobbyist“ sprach, muss bezweifelt werden. Außer seinem irritierenden Auftritt im Sportstudio, dem Schlingerkurs in Sachen Bundestrainer und Ränkespielen mit dem CEO des Verbands ist von ihm nicht viel in Erinnerung. Wobei sich das Gefühl nicht abschütteln lässt, er würde dem Profifußball – aus dem er ja entsandt wurde – näher stehen als den 25.000 Amateurclubs. Da kann der Trainer seines Heimatclubs noch so kluge Dinge über den Zusammenhalt der Gesellschaft sagen.
Ob nun auf Bundes- oder auf Landesebene: Funktionäre, die nicht bereit oder in der Lage sind, mit ihren Vereinen und Mitgliedern ehrlich zu kommunizieren, sind nicht das, was der Amateurfußball benötigt. Daher sollten sie das Feld räumen. Tun sie das nicht freiwillig, ist es an den Vereinen, sich nach Alternativen umzusehen. Die Zeit, in denen Präsidiumsmitglieder ihren Posten aus Gewohnheit behalten, muss aufhören.
Wenn sich die Amateursportlerinnen in den Rathäusern, den Medien und gegenüber der DFL offensiv positionieren wollen, braucht es Menschen an ihrer Spitze, die modernen Kommunikationsformen gegenüber offen sind und keine Angst vor dem Diskurs haben. Das ist übrigens keine Frage des Alters. Es gibt ältere Menschen, die sehr kommunikationsstark sind, es gibt auch junge, die zu selbstbewusst auftreten.
Wohl aber ist es eine Frage der Leidenschaft und der eigenen Ansprüche. Diese sollten nicht zu niedrig sein, schließlich fungieren die Verbände als Lobbyisten von Millionen Vereinsmitgliedern. Man kann
von Interessenvertretern anderer Gruppen wie der Telekommunikation, der Chemischen Industrie oder der Digital- und Energiewirtschaft lernen.
Würde der Sport in den politischen Schaltzentralen nur halb so ernstgenommen, könnte er Berge versetzen. Um das zu erreichen, braucht es starke Persönlichkeiten, neue Köpfe. Die Amateure sollten sich künftig mehr Mühe geben, diese zu finden. Sonst werden sie in der Bedeutungslosigkeit enden.
Gerd Thomas
Gerd Thomas ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.
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