Welches Verständnis vom Lieblingssport der Nation haben CDU und AfD? Die CDU beantragte jüngst im Berliner Sportausschuss eine Debatte zum Thema Gewalt im Jugend- und Amateurfußball. Die AfD forderte allen Ernstes sogar: „Schutz der Spieler, Schiedsrichter und Zuschauer im Berliner Amateurfußball stärken – Transparenz der Täterstrukturen sicherstellen.“ Die Flügelspieler auf Rechtsaußen wünschen sich eine „Täteranalyse“, die sämtliche Parameter wie Alter, Geschlecht, Vorstrafen, Nationalität, Migrationshintergrund enthält.
Man darf davon ausgehen, dass die Herren über die Glanztaten von Mesut Özil und Jérome Boateng im WM-Finale nicht gejubelt haben. Sie tun es sicher auch nicht, wenn die Berliner Jungs Antonio Rüdiger und Jordan Torunarigha eine Chance des Gegners vereiteln. Dass Ressentiments den Anträgen zugrunde liegen, ist die eine Sache. Dass diese Anträge zu einer Zeit verhandelt werden sollen, in der vielen Vereinen das Wasser bis zum Hals steht, macht fassungslos. Statt uns zu helfen, machen uns die Parteien mit solchen von Law-and-Order-Denken geprägten Debattenbeiträgen das Leben schwer.
Ich bin seit vielen Jahren im Fußball aktiv, als Jugendleiter, Vorstand und als Mitglied im Jugendbeirat, als Trainer und Spieler. Soziale Themen sind mir vertraut. Viele unserer Aktiven sowie Trainerinnen und Trainer haben eine Migrationsgeschichte, ihre Vorfahren stammen aus Tunesien, Kroatien, Irak, Iran, England, Südkorea, Palästina, Israel, der Türkei, Chile, Japan, Kanada, Ägypten, Schweden oder Österreich. Für uns sind das einfach alles Berlinerinnen und Berliner, die meisten sind hier geboren.
Natürlich gibt es im Fußball Probleme. Diese werden ausführlich diskutiert, ich selbst habe mich oft für mehr Fairplay in der Jugend eingesetzt. Der Berliner Fußball duckt sich nicht weg, wie uns AfD und CDU offenbar unterstellen. Wir beim FC Internationale wenden uns seit drei Jahrzehnten offensiv gegen Rassismus und bekennen uns zu Fairplay und respektvollem Umgang. Gerade weil wir multiethnisch aufgestellt sind, klappt das hervorragend.
Künftig richtet der Verband sogar eine hauptamtliche Stelle zur Unterstützung der Schiedsrichter ein. Den Streik der Berliner Schiris im vorigen Oktober haben viele Vereine natürlich unterstützt. Wer der hier Lesenden hat noch nicht über sie geschimpft? Im übrigen legt eine aktuelle Studie nahe, dass Schiedsrichter mit einer Migrationsgeschichte öfter das Ziel von verbalen oder körperlichen Attacken sind. Die Warheit ist komplizierter als die AfD uns glauben lassen will.
Erschwerend für uns kommt hinzu, dass Journalisten meist nur die unschönen Einzelfälle aufgreifen. Sonst findet der Amateurfußball in der Berichterstattung kaum statt. Obwohl wir die größte Sportgruppe in der Stadt bilden, sind die Zahnschmerzen des Hertha-Platzwarts wichtiger. So denken Menschen ohne näheren Bezug zum Amateurfußball (etwa Abgeordnete), dass dieser ein Hort von Gewalt sei. Der Fußball ist aber vor allem ein Ort der Gemeinschaft und Nachbarschaft. Wenn er das bleiben soll, brauchen die Vereine mehr Unterstützung.
Wie auf dem Schulhof, in der U-Bahn, im Park oder im Straßenverkehr, der wahren Heimat von Beschimpfungen und Drohungen, ist jeder Vorfall auf dem Platz einer zu viel. Gewalt im Fußball äußert sich in der Regel seltener in Schlägen oder Tritten, sondern vielmehr als psychische Gewalt. Beleidigungen und Provokationen bis hin zu Rassismus sind die Regel. Mit zunehmender Sorge beobachte ich auch antisemitische Tendenzen, Homophobie, Behindertenfeindlichkeit und abwertendes Verhalten gegen Frauen – das alles erleben wir in der Stadt wie im Fußball. „Spiel nicht so einen schwulen Pass.“ „Bist du behindert?“ oder „Du spielst ja wie ein Mädchen!“ Sowas hört man oft.
Hier hilft am ehesten Erziehung. Wir an der Basis brauchen daher mehr Hilfe für die Arbeit mit jungen Menschen, finanzielle Mittel für Prävention, für Demokratieförderung, für ein faires Zusammenleben auf dem Platz, für Integration und Chancengleichheit. Nicht immer können alle Jugendlichen mit dem Frust einer Niederlage umgehen. Und schon gar nicht stehen Kinder aus einkommensschwachen Haushalten auf Augenhöhe mit ihren Mitspielern, das geht schon bei der Marke der Fußballschuhe los.
Das System Amateurfußball kippt allerdings gerade, mit der Folge, dass immer weniger Leute bereit sind, einen Erziehungsauftrag ehrenamtlich wahrzunehmen. Und das, obwohl immer mehr Geld und Zeit in der Bevölkerung vorhanden ist. Dieses wird aber lieber für Reisen oder Autos ausgegeben, Sport soll möglichst wenig kosten. Der Sportverein wird von Wissenschaftlern als die „Schule der Demokratie“ beschrieben. Würden morgen alle Trainerinnen und Trainer ihre Arbeit niederlegen, hätten die Jugendämter und Polizeireviere deutlich mehr zu tun als ohnehin schon.
Ja, es gibt auch im Fußball Gewalt, wie überall in der Gesellschaft. Ihr müssen wir entgegentreten. Doch nicht mit Listen und Ausgrenzung, sondern mit guten integrativen und bildungspolitischen Konzepten sowie Präventionsmaßnahmen. Auch durch bessere Sportanlagen oder durch Entlastung von Hauptamtlichen, wie die HARTPLATZHELDEN-Kolumnistin Ute Groth es beschrieben hat.
Aber auch durch eine vehemente Unterstützung der Jugendarbeit durch DFB und Landesverbände. Diese könnten ihren Einfluss gern deutlich lauter äußern, das anstehende Wahljahr bietet sich förmlich an, der Politik mehr Mittel für eine sinnvolle Jugendförderung abzuringen, wobei sinnvoll nicht in erster Linie „im Sinne der Talentförderung Nachwuchsleistungszentren“ bedeutet. Dann könnte der Fußball noch mehr Input für das Gelingen unserer Gesellschaft leisten als ohnehin schon. Wäre schön, wenn die Politik das begreift.
Protokoll: Oliver Fritsch
Gerd Thomas
Gerd Thomas ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.
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Sehr richtig!