Wer im Nachwuchszentrum eines Bundesligavereins nicht spurt, wird aussortiert. Doch wir an der Basis arbeiten mit allen Kindern, die kommen. Den einfachen, den schwierigen, den talentierten, den weniger talentierten.
Wir Jugendtrainer müssen am Ende eines langen Tages den Pädagogen, die Streitschlichterin und den Motivator in einer Person vereinen. Dabei fangen wir das auf, was im Laufe eines Tages auf die Kinder eingeprasselt ist. Welche Trainerin einer F- bis zur C-Jugend kennt es nicht? Man bereitet eine Einheit vor, malt sich aus, wie perfekt sie laufen wird und die Kids das Erlernte im Spiel umsetzen werden. Auf dem Platz holt uns dann die Realität ein. Immer wieder erleben wir Kinder, die durch grenzüberschreitendes Verhalten das gesamte Training torpedieren. Die Bandbreite an sozial Unverträglichem ist groß: physische Aggression anderen gegenüber, geringe Frustrationstoleranz, Trotz. Oft fällt uns als Reaktion auf diese Hilferufe der Kinder nur die klassische Sanktion ein, oder, wenn wir völlig verzweifelt sind, der Ausschluss aus dem Training.
Ich möchte in den kommenden Beiträgen einige Hilfestellungen anbieten, um Verständnis für die Kinder zu entwickeln, und Trainerinnen und Trainern helfen, die Kinder zu einer Verhaltensänderung zu motivieren. Ich beginne mit dem Phänomen, das mir persönlich am häufigsten begegnet. Zuletzt vorige Woche, da baute ich ein Koordinationstraining auf, das viele attraktive Übungen mit und ohne Ball enthielt. Wie immer gab es bekannte und unbekannte Übungen. Nach fünf Minuten zeigten sich vier Reaktionen unter den Kindern:
- Manche gingen selbstbewusst und neugierig immer wieder an alle Übungen heran, ohne Angst vor Fehlern.
- Manche konzentrierten sich auf ein paar Übungen, die sie beherrschten. Die anderen Übungen, die ihnen schwer fielen, probierten sie zwar aus, aber mieden sie danach.
- Manche verblieben bei der einzigen Übung, die sie besonders gut beherrschten.
- Manche standen nur am Rand und beobachten andere, störten sie sogar mitunter.
Ich ging zu einzelnen, frustriert blickenden Kindern und fragte, warum sie keine Übung probierten oder nur bei einer verblieben. Ihre Antworten: „Ich kann das sowieso nicht.“ „Ich werde das nie lernen.“ „Kein Bock.“
Dahinter steckte eindeutig Frustvermeidung, denn diese Kinder haben von früh gelernt, dass Fehler etwas Negatives sind, für das man Tadel erhält. Wir Erwachsene sollten uns allerdings bewusst machen: Ohne Fehler gäbe es keinen Lernprozess. Jegliches Lernen basiert auf Fehlern. Ein Kind, das laufen lernt, fällt bis zu 100 Mal täglich hin. Wir sollten alle also dazu ermutigen, Fehler zu machen. Das tun wir am besten, in dem wir uns an fünf Regeln halten:
- Fehler „entkriminalisieren“, indem man öfter auch erwähnt, dass man selbst auch Fehler macht und dies durch Beispiele belegt. Ideal ist es, wenn man sogar mal einen Fehler im Training macht und dies dann vor der Gruppe eingesteht: „Ups, das habe ich falsch erklärt. Sorry, mein Fehler. Ich erkläre es noch mal neu.“ Solche Sätze gehören bei uns beinahe zum Alltag, und das stärkt unsere Gruppe.
- Den Nutzen von Fehlern aufzeigen, durch Sätze wie: „Nur wer Fehler macht, kann daraus lernen. Also, probier es nochmal und nochmal und nochmal, bis es klappt.“
- Eine Atmosphäre schaffen, in der Fehler erwünscht sind. „Toll, dass du das probiert hast. Ich habe gesehen, dass es noch nicht perfekt war, aber ich feiere deinen Mut.“
- Den nächsten Schritt einfordern: „Ein Fehler signalisiert dir, dass da noch Luft nach oben ist. Also dass du dich noch verbessern musst. Bleib dran, von nix kommt nix!“
- Den Lernerfolg zurückmelden: „Siehst du, du hast gearbeitet, bist dran geblieben, hast Fehler gemacht, aber schau wo es dich hingebracht hat. Heute kannst du es und das hast du dir selbst erarbeitet. Du kannst stolz auf dich sein, ich bin es jedenfalls.“
Wir als Trainerinnen und Trainer müssen uns immer wieder vor Augen führen, dass Kinder, die demotiviert auf Aufgaben reagieren dieses Verhalten über lange Zeit gelernt haben. Sie haben auch gelernt, die negativen Gefühle, die durch Fehler und Scheitern entstehen, zu vermeiden. Deshalb sollten wir uns in Zukunft immer, wenn wir den Satz „Ich kann das doch eh nicht“ hören, daran erinnern, dass Fehler etwas Tolles sind. Nämlich eine Chance für uns als Trainer, Kindern eine neue Sichtweise auf Fehler einzunehmen. Also antworten wir: „Das ist doch super und außerdem der Grund, warum du hier bist. Du kommst zum Training, weil du es lernen willst und nicht, weil du es schon kannst.“
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Zum Abschluss stellen Sie sich bitte folgende Geschichte eines Jungen vor:
Als Kind hatte er einen unbändigen Spiel- und Entdeckertrieb. Er probierte, wenn es nötig war, hunderte Male das gleiche, bis er endlich zum Erfolg kam. Als er älter wurde, passierten auf einmal komische Dinge. Als er einmal etwas nicht auf Anhieb schaffte, signalisierten ihm seine Eltern, dass es falsch war. Dadurch hatte er das Gefühl, sie zu enttäuschen. In der Schule wurden seine Fehler mit einem roten Stift markiert, und wenn er mal zu viele gemacht hatte, wurde ihm ein weinender Smiley ins Heft gemalt. Fußball spielte er immer total gerne, am liebsten im Verein mit Freunden. Samstags gab es Spiele. Wenn er allerdings zu viele Fehler machte und das Spiel verloren ging, waren auch alle enttäuscht, Eltern, die Trainerin, die Mitspieler. Deshalb entschied er, keine Fehler mehr zu machen. Von Sachen, die er nicht sogleich schaffte, ließ er fortan die Finger.
Und noch etwas generelles, liebe Leserinnen und Leser: Ich freue mich auf Hinweise und Themenvorschläge. Am besten Sie schreiben es unten in die Kommentarspalte. Ich selbst habe übrigens auch genug Fehler gemacht. Von einem sehr speziellen erzähle ich in einer meiner kommenden HARTPLATZHELDEN-Kolumnen.
Younis Kamil
Younis Kamil ist Erster Vorsitzender des ISC AlHilal Bonn, einem Stützpunktverein für Integration und Gewinner mehrerer Integrationspreise.
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Super Beitrag