Mehr Demokratie im Fußball wagen

2022 erleben die DFL und bald auch der DFB einen Wechsel an der Spitze. Zieht mit der neuen Führung eine neue Kultur in den Fußball ein? GERD THOMAS ist skeptisch.

Neues Jahr, neues Glück? Für den Amateurfußball muss hier wie üblich ein Fragezeichen gesetzt werden. Immerhin, die DFL stellt sich neu auf: Donata Hopfen ist die neue Chefin. Endlich, wie von vielen gefordert, eine Frau an der Spitze des mächtigsten Players auf dem Fußballmarkt, aber wie sieht eigentlich ihre Agenda aus? Manche meinen, aufgrund ihres bisherigen Arbeitgebers, des Axel-Springer-Verlags (Bild, Welt, Sportbild, transfermarkt.de, internationale Beteiligungen), steht sie für noch mehr Eventisierung, noch mehr Kommerzialisierung.

Aber vielleicht lässt sie einfach alles hinter sich und überrascht mit einer modernen Agenda, auf der die gesellschaftliche Verantwortung des privilegierten Profifußballs weit oben steht. Noch besser wäre es, wenn sie zusammen mit der neuen DFB-Spitze die Gräben zuschütten würde, die von den bisherigen Protagonisten aufgerissen und von Jahr zu Jahr tiefer gezogen wurden. Wird sie klug genug sein, um die Solidargemeinschaft zwischen Spitzen- und Breitensport zu erkennen?

Gleiches muss man von der neuen DFB-Spitze fordern, die am 11. März gewählt wird – auch wenn nicht erst seit dem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 8. Januar Zweifel aufkommen. Dort ist von Plänen zu Satzungsänderungen die Rede, die heimlich getroffen worden sein sollen. Die zwei bekannten Kandidaten stehen nicht für Neuanfang. Peter Peters ist selbst bei seinem Verein, dem FC Schalke, in Ungnade gefallen. Bernd Neuendorf ist als Präsident des Landesverbands Mittelrhein Teil des Systems.

Gleichwohl ließ er im Kicker-Interview verlauten, dass Reformbedarf bestehe. Als ehemaliger Politiker (Staatssekretär, SPD-Sprecher) wird er sich von seinen Plänen nicht so schnell abbringen lassen. Aber er wird vielleicht merken, wie lang beim DFB die Schatten der Vergangenheit sind. Dass die jetzige Nomenklatura noch mal kurz vor Toreschluss die längst nicht mehr zeitgemäßen Strukturen versucht, zu ihren Gunsten zurückzudrehen, macht wenig Hoffnung. Noch mehr Top-Down, noch weniger Transparenz und Partizipation – damit kommt man selbst in konservativen Unternehmen heute nicht mehr weit.

Aber darum scheint es auch gar nicht zu gehen. Selbst wenn Neuendorf eine starke eigene Agenda mitbringt, vorher sichern die Landesfürsten noch einmal die Pfründe, indem bisherige  Institutionen geschliffen oder in ihrem Sinne besetzt werden. Compliance-Regeln? Bei der Ausschaltung von missliebigen Personen stand die christliche Nächstenliebe noch nie im Zentrum der Überlegungen.

Peters und Neuendorf wären gut beraten, sich von den im jüngsten SZ-Artikel beschriebenen Satzungsänderungen zu distanzieren. Denn es geht um die Glaubwürdigkeit des größten Sportfachverbands der Welt. Das DFB-Präsidium und die 21 Landespräsidenten (Frauen sind nicht dabei) vertreten fast 25.000 Vereine mit mehr als 140.000 Mannschaften, davon 99 Prozent im Amateur- oder Breitensport angesiedelt.

Hört man sich um, ist an der Basis das Image des DFB unterhalb der katholischen Kirche angesiedelt. Das muss man mit dem Lieblingssport der Deutschen erst einmal hinkriegen. In den Vereinen hat fast niemand den Eindruck, der Verband würde deren Interessen vertreten. Das mag nicht immer gerecht sein, aber es ist nun mal die Außenwirkung. Und die ist fatal, zumal sie Auswirkungen auf das Ansehen des gesamten Fußballs hat, für die 25.000 Vereine in der Breite eine Katastrophe.

Denn der Amateursport hat ohnehin riesige Herausforderungen zu bewältigen. Mein HARTPLATZHELDEN-Kollege Michi Franke gab dazu jüngst ein bemerkenswertes Interview in der FAZ, auch zur Rolle des DFB. Das Ehrenamt steht vielerorts auf der Kippe, Mädchen- und Jungenbereich sind rückläufig, die Pandemie setzt den Vereinen zu, andere Sportarten kommen auf, Sportstätten sind oft kaum mit diesem Namen zu bezeichnen. Da ist es auch kein Trost, dass viele Schulen baulich in keinem besseren Zustand sind.

Egal, welcher Kandidat am Ende das Rennen macht – die neue DFB-Spitze würde gut daran tun, endlich die Basis einzubeziehen. Dass ich eine Urwahl aller in den Landesverbänden gelisteten Mitglieder bin, habe ich mehrfach erwähnt. Es fehlen weitere Impulse. Wir brauchen im DFB Menschen, die sich auf dem Fußballplatz in der Kreis- oder Landesliga, im Kinder- und Jugendbereich auskennen, die seit Jahren die Nöte erleben und nicht nur vom Erzählen davon wissen. Unbedingt sollten zudem partizipative und transparente Prozesse angestoßen werden. Sich hier auf die sich vor allem dem Spitzensport verschreibende teure Akademie um den Profi-Vertreter Oliver Bierhoff zu verlassen, wäre grob fahrlässig und würde noch mehr Leute vom Fußball wegtreiben.Würde es einen echten Wahlkampf um den Präsidentenstuhl geben, müssten die Kandidaten sich anstrengen, dem Wahlvolk zu erklären, warum sie gewählt werden sollten. Das Ständesystem des DFB sieht ein anderes Modell vor. Die Landesfürsten um den mächtigen Rainer Koch entscheiden – ihre Geschlossenheit vorausgesetzt – über den neuen Menschen an der Spitze. Dass sie selbst in ihren Verbänden kein Interesse an zu viel Demokratie haben, mussten mehrere Engagierte schmerzhaft erfahren.

Warum also sollte ausgerechnet von diesen Wahlberechtigten ein Aufbruch ausgehen? Wir werden genau beobachten, was in den nächsten Monaten vor sich gehen wird und uns weiter einmischen. Im Sinne der Mitglieder unserer Vereine, aber auch im Sinne von „Mehr Demokratie wagen“. So wie es ein Altkanzler und Parteigenosse von Neuendorf und Koch einst forderte.


Gerd Thomas

Gerd Thomas

Gerd Thomas ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.

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