In der überregionalen Videokonferenz „Rettet die Amateure“ am 5. November wurde viel Ärger über DFB und Landesverbände deutlich, auch die mangelnde Unterstützung der Politik und die fehlende Wertschätzung für die Ehrenamtlichen wurden kritisiert. Was mich besonders nachdenklich macht, ist der Zustand des Jugendfußballs. Immer wieder kamen Klagen über die Überlastung, einige sahen ihre Coaches mehr als Sozialarbeiter denn als Trainer. Gerade in Gegenden, die nicht sehr gut betucht sind, müssen Vereine mehr und mehr die Rolle des Blitzableiters einnehmen. Die Pandemie hat die ohnehin schwierigen Bedingungen noch verschärft.
Kinder und Jugendliche sind in ihrem Verhalten deutlich auffälliger als vorher, nicht wenige sind übergewichtig, viele können keine Rolle vorwärts oder haben schon Probleme beim Rückwärtslaufen. Verschärfend kommt hinzu, dass die Suche nach Trainerinnen und Trainern immer schwerer wird. Der allgemeine Fachkräftemangel führt zu Überstunden, die dann für die Vereinsarbeit fehlen. Junge Leute müssen sich neben dem Studium Geld hinzuverdienen, um die immer teureren Mieten zahlen zu können. Die geringe Aufwandsentschädigung in den Vereinen, meist unter 100 Euro im Monat, reicht vorne und hinten nicht. Also entscheiden sich auch interessierte Menschen, also potenzielle Trainer, für den Job an der Supermarktkasse oder der Kellnerin und stehen den Vereinen nicht mehr zur Verfügung.
Die Krise wird durch wachsende Ansprüche von Eltern und Verbänden verschärft. Mehrere Teilnehmer der Konferenz forderten, die Ausbildung zu den ohnehin zeitraubenden Trainerlizenz-Lehrgängen kostenfrei zu gestalten. Gleichzeitig hört man immer wieder Stimmen, mehr Elemente zum Erlernen von Sozialkompetenz in die Schulungen aufzunehmen. Was nützt es, wenn ein Trainer den nötigen Abstand der Markierungshütchen kennt, aber seine Spieler und deren Eltern nicht erreicht?
Auch das Thema Eltern fiel sehr häufig. Schafft es ein Trainer, seine Mannschaft richtig einzustellen, kann es durchaus passieren, dass sich auf der gegenüberliegenden Seite des Feldes eine Reihe von Erzeugern wie eine Art Zweitcoach aufführen. Am schlimmsten wird es, wenn der eigene Schützling nicht spielt. Dann wird schon mal unverhohlen gegen den Coach gehetzt und dessen Befähigung in Frage gestellt. Dass es obendrein immer weniger Schiedsrichter gibt, macht die Sache noch prekärer. Auch hierfür dürften übermotivierte Eltern ein Grund sein.
Wie kommen wir aus der Misere? DFB und Landesverbände müssen Rezepte finden. Das geht aber nicht allein in der Otto-Fleck-Schneise oder im neuen Elfenbeinturm DFB-Akademie. Der Sportwissenschaftler Harald Lange, einer der Teilnehmer der Konferenz, fordert dezentrale Initiativen – und dadurch mehr Vielfalt. Er warnte vor einer Bündelung der Kompetenzen in der DFB-Zentrale, von wo dann in der gewohnten Top-Down-Mentalität die Order an alle Vereine geht. Denn irren sich die allwissenden Experten dort, ist gleich eine ganze Generation von Spielerinnen und Spielern betroffen.
Vor allem braucht es Ideen, wie wir den Druck aus dem Jugendfußball rausnehmen und neue Interessierte für den Trainerjob gewinnen und diesen attraktiver gestalten können. Hierbei sollte der Fokus mehr auf der Breite als auf die Spitze gelegt werden. Wenn die Unterstützung an der Basis fehlt, wird auch in den hohen Ligen weniger Qualität ankommen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Jugendfußball vor Herausforderungen immensen Ausmaßes steht. Diese zu bewältigen können nur in einer großen Solidargemeinschaft aus DFB, Landesverbänden, Profi- und Amateurvereinen bewältigt werden. Sie sollte aber auch zwingend Politik, Verwaltung, Bildungswesen und Wirtschaft einbeziehen, schließlich gilt der Verein nicht nur als Schule der Demokratie, sondern auch als dritter Bildungsort, aus dem die allseits so begehrten Fachkräfte von morgen kommen.
Bleiben die Eltern, ein nicht zu unterschätzender Faktor. Immerhin gibt es die großartige Susanne Amar, die sich als Coach auf den Umgang mit Fußballeltern spezialisiert hat. Ich prognostiziere, dass sie künftig nicht an zu wenig Anfragen zu leiden hat. Und noch eine Vorhersage: Lernt der DFB nicht, die Nöte und Sorgen der Basis zu verstehen, werden sich Parallelstrukturen bilden. Das könnte schneller geschehen, als es sich die Funktionäre dort vorstellen.
Gerd Thomas
Gerd Thomas ist seit 2017 Erster Vorsitzender (seit 2003 im Vorstand) des FC Internationale Berlin. 2013 zeichnete der DFB den Verein mit dem Integrationspreis aus.