Nachwuchsleistungszentren (NLZ) sind eine tragende Säule der Jugendausbildung im DFB. Derzeit gibt es in Deutschland mehr als 50 NLZ, in denen die regionalen Spitzentalente aller Jahrgänge ab der U8 weiterentwickelt werden sollen. Vereine der 1. und 2. Bundesliga sind verpflichtet, ein NLZ zu betreiben. Einige Dritt- und Oberligisten betreiben aber auch solche Einrichtungen mit dem Ziel, Talente bestmöglich zu entwickeln.
Die NLZ betonen vor allem immer folgende Funktionalitäten des Betriebes:
1) Die frühe Entdeckung von Spitzentalenten
2) Die langfristige Entwicklung der Spieler im NLZ
3) Den Vorrang der schulischen vor der sportlichen Ausbildung
4) Das Ziel, Eigengewächse für die eigenen Herrenteams auszubilden
Das klingt doch super. Um es kurz zu sagen. In der Regel bleibt es beim schönen Klang.
Eine großangelegte Metastudie von Prof. Arne Güllich (TU Kaiserslautern), die dem Verfasser vorab vorliegt, wertete Daten aus den deutschen NLZ sowie über 30 internationalen Youth Soccer Academies aus.
Die Ergebnisse zeigen im Gegensatz zur beschriebenen Theorie folgende NLZ-Realität:
1) Hohe Frequenz des Spieleraustausches in allen Altersklassen (durchschnittlich 29% der Spieler werden jährlich ausgetauscht).
2) Erfolgreichere Profis kamen erst in späterem Alter in die Leistungszentren als weniger erfolgreiche Profis – eine frühere Förderung hängt also mit geringerem Erfolg im Erwachsenenalter zusammen.
3) Der kurzfristige Teamerfolg steht über der langfristigen Entwicklung einzelner Spieler.
4) Fußball hat Vorrang vor schulischer Bildung.
5) Es gibt einen deutlich steigenden Anteil neu verpflichteter auswärtiger Spieler.
Diese Erkenntnisse sind an sich nicht neu und waren regelmäßig Teil der Kritik an der Arbeit der NLZ. Nun sind diese bisherigen Vermutungen aber erstmals wissenschaftlich fundiert nachgewiesen.
Und damit entstehen große Fragezeichen an der Arbeit in den NLZ.
Die hohe Frequenz des Spieleraustauschs weckt massive Zweifel am aktuell gelebten System des Scouting von Kindern. Es wird jährlich immerhin fast ein Drittel der gescouteten Spieler ausgetauscht. Die gewonnenen Daten zeigen deutlich, dass die Talentsichtung in den Altersstufen U8 bis U14 nicht sinnvoll ist.
So finden sich beispielsweise nach 8 Jahren nur mehr 9 % der ursprünglichen U11 Spieler im NLZ in der U19. 91 % der Spieler werden zwischen der U11 und der U19 also aussortiert. Am Ende verbleibt weniger als 1 % der U11 Spieler, welches den Übergang in ein Herrenteam schafft.
Eine zuverlässige Entwicklungsprognose ist bei Kindern unter 14 Jahren nicht möglich. Ein U15 Spieler, der in ein NLZ wechselt, hat zumindest eine etwa 10%ige Chance, im NLZ den Übergang in den Herrenbereich zu schaffen. Anstatt Kinder langfristig zu entwickeln, werden diese bei Nichtgenügen ausgetauscht.
Im Wissen, dass rund 50 % der aus dem NLZ entlassenen Spieler medizinisch belegbare psychische Folgeschäden erleiden, erscheint die Vorgehensweise der regelmäßigen Selektion und Deselektion der NLZ schwerlich verantwortbar.
Auch spannend: Ein Großteil der Herrenspieler internationaler Klasse hat als Jugendlicher weniger Zeit für die Hauptsportart Fußball aufgewandt und sich einer Zweitsportart zugewandt. Das bedeutet, die sportliche Entwicklung setzte bei diesen Spielern später, aber dafür nachhaltiger ein. Die hohe Intensität der Hauptsportart im Kindesalter führt also zu einer beschleunigten sportlichen Entwicklung der Kinder, ist aber für die spätere Leistungsentwicklung im Erwachsenenalter eher schädlich. Die leistungsstärksten erwachsenen Spieler hatten als Kinder eine moderate Trainingsintensität, praktizierten verschiedene Sportarten, spielten länger in ihrem Heimatverein und blieben sozusagen von den negativen Einflüssen einer frühzeitigen Intensivförderung im NLZ verschont. Sie minimierten ihre persönlichen Einschränkungen als Kinder und Jugendliche, während sie ihr persönliches langfristiges Entwicklungspotential steigerten.
Aktuell schafft es etwa eines von 1.000 entdeckten Talenten aus NLZ in die erste Bundesliga.
Fazit:
Das Scouting von Kindern bis zu einem Alter von etwa 13 Jahren widerspricht den eindeutigen Ergebnissen der Studie. Es ist daher auch nicht zweckmäßig, Jahrgänge früher als U14 in NLZ zu führen.
Zum einen wirkt sich die hohe Intensität und Fokussierung in der Hauptsportart negativ auf die spätere Leistungsfähigkeit der Spieler aus. Zum anderen führt das real gelebte System der permanenten Selektion und Aussortierung von Spielern zu einer großen Zahl von Kindern mit klinisch nachweisbaren psychischen Folgeproblemen.
Sehr scharf analysiert Michi. Klare Aussage!
Zahlen stimmen…wichtig ist das warum???
Ich kann ihnen gerne die Erkenntnisse meiner Analyse mitteilen…
Feindliche Grüße
Hallo Herr Rau,
mich würde das warum interessieren 🙂
Wie ich es sehe!
Bei der Ausbildung von Fußballtalenten sind nicht die Nachwuchsleistungszentren (NLZ) die Schwachstelle!
Die allermeisten Spieler der heutigen Nationalspieler und Bundesligaspieler werden im Alter von 5 – 12 Jahren in einem Amateurverein ausgebildet. Wir brauchen also in den Amateurvereinen die besten Trainer – ausgebildete Trainer – um die Jugendlichen im Alter von 5 bis 12 Jahren die beste Ausbildung zu er möglichen und der DFB lässt die Landesverbände sowie die Amateurvereine im Regen stehen.
Als Cheftrainer der U-Nationalmannschaften des DFB sollte Fußball-Lehrer Meikel Schönweitz die Verantwortung des DFB für die Jugendlichen im Alter von 5 bis 12 Jahren in den Amateurvereinen nicht in die Landesverbände verschieben, denn wer die ersten vier Jahre seiner Fußballerlaufbahn (Schullaufbahn) nicht adäquat betreut wird, holt das später kaum wieder auf.
Dabei ist der DFB doch daran interessiert, dass im Amateurbereich gut ausgebildete Trainer eingesetzt werden. Dann muss der DFB das auch fördern.
DFB A-Lizenz Trainer Gerd Rathjen, Leiter der TGLR und
Mitglied im „Bündnis für eine bessere Zukunft des Amateurfußballs“
Scheeßel/Westerholz, 04.03.2022
[…] NLZ wird mit diesen wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen die vernünftige Grundlage entzogen (https://hartplatzhelden.de/nlz-dfb-talente/). Der FC Bayern zieht nun aus den besagten Erkenntnissen erste Konsequenzen. Förderkader heißt […]
[…] Die Probleme des Scoutings und viel zu früher Vereinswechsel habe ich an dieser Stelle schon diskutiert. Studien zeigen, dass vor allem bei Kindern unter 14 keine seriöse Einschätzung des Entwicklungspotentials möglich ist. Ein großer Teil ausselektierter Kinder leidet letztlich unter klinisch nachweisbaren psychischen Problemen. https://hartplatzhelden.de/nlz-dfb-talente/ […]
NLZ ist nur eine Geldmaschine. Am
Ende sind die scouts in Rio oder Lissabon und kaufen dort ein.
Alles nur um den Eltern eine Story zu verkaufen.
Wer in der F-Jugend einen Trainer nicht auf 450€ bezahlt, braucht sich nicht wundern wenn er wie ein Dinosaurier aussterben wird.
Sportliche und zukunftsorientierte Grüße
Jeton Gegaj
Mein Sohn spielt seit der U10 in einem NLZ und ist derzeit als junger Jahrgang in der U19. Meine Erfahrung als mitfühlender Vater, losgelöst von jeglichen Daten unterstreicht diesen Bericht in vollem Maße. Psychische Schäden der Kinder sind vorprogrammiert, weil sie im frühesten Jugendalter behandelt werden wie seelenlose Gegenstände. Sie werden nach Belieben und willkürlich ausgetauscht, auf die Bank gesetzt oder aus dem Kader gestrichen um kurzfristige Ziele zu erreichen (oftmals auch die eigennützigen Ziele der Trainer oder auch die Ihrer Berater) unabhängig von Talent und NLZ Zugehörigkeit. Nur weil sie in dem Moment nicht funktionieren. Weiterhin wird keinerlei Rücksicht auf die schulische Belastung genommen, auch wenn alibimäßig davon gesprochen wird “Schule ist wichtiger“ und Nachhilfelehrer angeboten werden. Die Jungs haben gar keine Zeit diese Angebote anzunehmen. Sie werden teilweise direkt vom Schulhof (ohne warmes Mittagessen) auf das Trainingsgelände gekarrt wo sie dann unter höchstem Leistungsdruck (wer Fehler macht fliegt aus dem Kader) und Konkurrenzkampf und lügnerische Intrigen im Hintergrund, zu 100% abliefern müssen. Ein Erwachsener würde bei dem Programm mit der Belastung (4x die Woche Training, Auswärtsspiele bis zu 400km Entfernung, keine Freizeit, keine Familienurlaube, keine Geburtstagspartys, keine Jugend, Erfolgsdruck, Erniedrigung, Intrigen, von Ihrem eigenen Zielen getriebene über ehrgeizige Trainer, schulischer Druck, keine Zeit zum Durchatmen weil selbst spielfreie Wochenende mit Trainingseinheiten gefüllt werden, keine Ausschlafen uvm.) nach vier Wochen mit Burnout in der Psychiatrie eingewiesen werden. Nochmal würde ich meinen Sohn in der U10 nicht in ein NLZ stecken (frühestens U16, wenn überhaupt) und ich rate jedem auch das nicht zu tun.
Gerne kann mich der Redakteur für weitere Insider Infos kontaktieren….